Reise

Kashan – Deutscher Kartoffelsalat und Motorbrand

Nachdem wir die letzten 7 Tage Isfahan kreuz und quer erkundet haben, reizt uns ein Ausflug nach Kashan, eine Oasenstadt, die am Rande der Dasht-e Kavir Wüste in etwa der Mitte der vierhundert Kilometer zwischen Isfahan und Teheran liegt.

Wir haben uns mit Hamid, einem Urologen im Ruhestand, verabredet; wir haben ihn in Isfahan kennengelernt. Da er mehrere Jahre in Deutschland gelebt hat, spricht er sehr gut Deutsch. Er ist trotz seiner 82 Jahre voller Unternehmungslust und Energie und zudem ein wandelndes Lexikon, was die persische Geschichte, Architektur und Literatur angeht. Als 1979 die iranische Revolution tobt, ist Hamid im Land. Shah Mohammad Reza Pahlavi flieht, Ayatolla Ruholla Musavi Khomeini kehrt nach 14 Jahren Exil zurück. Am 1. April 1979 wird die islamische Republik ausgerufen, der Klerus übernimmt die Macht, und die hübschen Krankenschwestern sind von einem Tag zum andern kaum mehr zu unterscheiden durch die nun herrschende Kleiderordnung.

Im Taxi vom Flughafen Teheran nach Hause nach einem Deutschlandbesuch erfährt Hamid am 22. September 1980, dass der Iran-Irak-Krieg begonnen hat, in den auch er einbezogen werden wird.

Seine Altersvorsorge ist ein grosses Stück Land etwas ausserhalb von Isfahan, dieses wird ihm gegen ein Entgelt enteignet – eine Schnellstrasse nimmt heute seinen Platz ein. Die Altersvorsorge ist im Rahmen der massiven Inflation zu einem Haufen Geldnoten, der keinen Wert mehr hat, dahingeschmolzen. Auf unsere Bestürzung hin tut Hamid das, was wir bei vielen Iranern in ähnlichen Situationen bemerken: er zuckt die Schultern – man arrangiert sich, Widerstand zwecklos.

Es ist unglaublich spannend, diesem Mann zuzuhören; seine differenzierte und gebildete Ausdrucksweise ist ein Genuss. Es bestätigt sich uns vieles, was wir während der letzten Wochen zwischen den Zeilen der Geschichte des Irans vermutet, aber nirgends so zu lesen bekommen haben. Hamid freut sich über unser Interesse und gibt bereitwillig und ausführlich zu allem Auskunft.

Wir dürfen Fragen stellen, die wir uns sonst nicht zu fragen trauen; zur islamischen Revolution, den herrschenden Gesetzen, zur tiefen Zerrissenheit des Landes und seiner so unglaublich freundlichen Menschen, den Kontroversen, die uns an jeder Ecke entgegenschreien. Unsere Vorbereitung auf dieses Land war so ziemlich für die Katz – darüber zu lesen oder es zu erleben, sind hier zwei völlig verschiedene Paar Schuhe!

Vor unserem Ausflug werden wir – wen wundert es – zum Essen eingeladen. Uns zu Ehren ist Hamid losgezogen, um die Zutaten für einen echten deutschen Kartoffelsalat aufzutreiben, und uns diesen zusammen mit einem wunderbaren Fisch aufzutischen. Die Herzlichkeit und Gastfreundschaft der Iraner sind legendär und beinahe grenzenlos. So müssen wir auch hier höflich abwinken, damit das opulente Mittagsmahl nicht gleich nahtlos ins Abendessen übergeht; der Gastgeber ist bereits daran, Süssigkeiten, Pistazien und frische Mandeln als Zwischengang aufzutischen.

Am kommenden Tag holt uns Hamid mit seinem Auto, einem 18jährigen Saipa, einer iranischen Auto-Eigenmarke, ab. Der Kofferraumdeckel wird mit einem Ast offengehalten und auch sonst scheint das Fahrzeug an deutlich mehr Alterserscheinungen zu leiden als sein Besitzer. Bereits beim Starten rasselt es ungesund, die Kupplung knirscht jedes Mal als ob es ihre letzte Tat wäre. Hamid steuert in einer Seelenruhe durch den höllischen Verkehr Isfahans und lässt sich nicht aus der Ruhe bringen, derweil wir manchmal fast Blut schwitzen ob der gefährlichen Überholmanöver anderer Verkehrsteilnehmer. Aus drei Spuren werden bisweilen fünf, notfalls wird auch noch der Pannenstreifen dazugeschlagen.

Auf der Fahrt nach Kashan machen wir einen Abstecher in das malerisch gelegene Bergdorf Abyaneh, welches über Jahrhunderte völlig abgeschieden am Fusse des eindrücklichen Karkas-Gebirges sein autarkes Dasein geführt hat. Es gilt als eines der ältesten, noch erhaltenen Dörfer im ganzen Land. Inzwischen ist es zu grossen Teilen restauriert und so mehr Freilichtmuseum denn Wohnort. Dennoch lebt hier nach wie vor eine sich dezimierende Gesellschaft alter Menschen, die im Konflikt zwischen Annehmlichkeiten und Nachteilen des florierenden Tourismus steht. Auch dies würde uns als gewöhnlichen Besuchern verborgen bleiben, hätten wir mit Hamid nicht einen Begleiter, der offen auf die Menschen zugeht und das Gespräch sucht.

Nach dem Dorfbesuch steht – endlich mal wieder! – Essen auf dem Programm. Dies in Form eines Picknicks. Während Hamid das Auto holt, sollen wir uns schon mal ein Plätzchen am Bach suchen. Dies ist schnell gefunden und wir stehen keine drei Minuten am Platz unseres Begehrens, schon werden wir von der daneben essenden Familie eingeladen, uns bei ihnen dazuzusetzen. Wir machen klar, dass unser Picknick in Kürze auftauchen wird – schwuppdiwupp wird trotzdem zu unseren Füssen eine Decke ausgebreitet, welche sich im Handumdrehen mit Ghormeh Sabzi, einem klassischen Schmorgericht aus Kräutern, roten Bohnen und Lammfleisch, Pickles, Reis und kühlem Doogh füllt – Tischlein-Deck-dich auf Iranisch. Einsprache zwecklos!

Abschliessend wird Tee gereicht; Tabea mit ihren blonden Haaren wandert von Schoss zu Schoss, bis sie keine Lust mehr hat. Einmal mehr werden uns Telefonnummern aufgeschrieben, mit der Aufforderung, uns zu melden, sollten wir in der Nähe sein oder aber Hilfe irgendeiner Art benötigen.

Mit gefüllten Bäuchen erreichen wir Kashan. Ganz zu Unrecht wird diese Stadt von vielen Reisenden auf dem Weg von Teheran, wo die meisten in den Iran einreisen, auf dem Weg nach Isfahan ausgelassen. Durch die vielen Lehmbauten in warmen Farben weist Kashan das Flair einer Wüstenstadt auf, die dennoch viel Grün zu bieten hat. Ausserdem sind viele wunderschön gekachelte Häuser aus dem 18. und 19. Jahrhundert gut erhalten. Hamid kennt auch hier viele verborgene Eckchen, sodass wir in den Genuss vieler Schönheiten der Stadt kommen. Abends essen wir die schlimmste Pizza unseres Lebens, geniessen Berberitze-Eis und Granatapfelsaft und lassen einen interessanten Tag bei vielen weiteren Geschichten aus der Vergangenheit und Gegenwart im lauschigen Innenhof eines traditionellen Hotels ausklingen.

Am nächsten Tag machen wir uns auf den Heimweg. Wieder gibt die alte Karre ihre – für unsere Ohren beunruhigenden, gemäss Hamid aber völlig normalen – Geräusche zum besten, welche uns bei den trägen hochsommerlichen Temperaturen in den Schlaf rattern. Durch einen Schrei sind wir plötzlich alle hellwach – beissender Rauch quillt aus den Lüftungsschlitzen. Sofort verlassen wir das Auto, die soeben noch schlafenden Kinder sitzen mit ihren Stofftieren, Pinguin „Beng Beng“ und Esel „Ihh Ahh“ verdutzt am Strassenrand, während Toralf mit Wasser und Zitronen-Limo die aus dem Motor lodernden Flammen löscht und Hamid etwas verdutzt guckt – und in äusserst gewähltem Deutsch mitteilt, dass ihn der Umstand dieses Ungemachs doch sehr verwundere.

Wie fast immer auf unserer bisherigen Reise durch den Iran, findet sich innert kürzester Zeit jemand, der jemanden kennt, der weiss, wo Hilfe zu holen ist. So auch jetzt – mit vereinten Kräften bringen wir das marode Auto in eine „Garage“, die wir von aussen nie als eine solche erkannt hätten. Der Mechaniker bestätigt Toralfs Verdachtsdiagnose eines Teilkabelbruchs des Anlassers, was zum Funkenschlag geführt hatte. Dies in Zusammenhang mit einer unmittelbar danebenlaufenden, leckenden Benzinleitung war der Grund für den Motorbrand. Nach unserem Verständnis die Todesdiagnose für das alte Auto. Nicht aber hier: mit ordentlich Isolierband wird das gebrochene Kabel umwickelt, die Benzinleitung durch den sich in die Tiefe des Motorraumes beugende und zigarettenrauchende Mechaniker etwas verlagert.

Die ganze Reparatur kostet umgerechnet sechs Franken und mit dem Ratschlag, genügend Löschwasser in Reserve dabei zu haben, machen wir uns auf, die letzten 120 Kilometer nach Isfahan unter die Räder zu nehmen.

Die Phantasie und Anpassungsfähigkeit kennt auch hier keine Grenzen – und der Iran wäre nicht der Iran, wenn wir nicht problemlos den letzten Teil der Reise gemeistert hätten, um pünktlich zum Nachtessen wieder in Isfahan zu sein.

4 comments

  1. Liebe Reisende
    Wir „kennen“ uns leider nur über Eva & Alex und haben von euerer tollen Reise gehört und verfolgen natürlich (fast täglich) eueren Weg und euere Erlebnisse, die mit einem guten Krimi mithalten können. Meist wünsche ich mir, schon am Nächsten Tag weiter lesen zu können, aber ihr habt ja, neben dem Schreiben, auch noch zu reisen. Auch fasziniert mich euer Camper. Ähnlich wie ihr, reist ein deutsches Paar, mit einem fast identischen Fahrzeug durch Europa und Nordafrika und geben auch etliches über ihren Kurzhauber preis (campofant.com).
    Vielen Dank für euere tollen Berichte und weiterhin viel spannende Erlebnisse
    Marcel

    1. Lieber Marcel alias Silberweide! Wir haben uns sehr über deinen Kommentar gefreut und dass wir auch „Mitreisende“ über 7 Ecken haben. Das Schreiben wäre das eine, das Internet das andere…im Iran hat uns das fast in die Verzweiflung getrieben!
      Ja, unsere TINKA ist wirklich ein schönes Zuhause. Momentan stehen wir aber mal wieder in einem romantischen Garagenwerkhof, die Kinder total eingesaut mit einer Mischung aus Staub, Dreck und Motorenöl…und der Generator der Lichtmaschine ist futsch. In russischer Manier wollten sie uns ein ähnliches Teil zurechtdengeln, passt nun aber doch nicht. Hoffen wir mal auf Samarkand oder Dushanbe – irgendwie findet sich irgendwo immer was!
      Herzliche Grüsse aus Bukhara, das neben Garagenhöfen so viel mehr zu bieten hat!
      Karin, Toralf und Kids

  2. Was für eindrückliche und faszinierende Geschichten ihr erlebt…schön zu lesen… einfach super!??

    1. Liebe Conni,
      jaja, wer reist, der hat was zu erzählen. Durch die Kinder sind wir nochmals näher am Geschehen und wir lieben es einfach, ins Alltagsleben in den verschiedenen Ländern einzutauchen.
      Ganz liebe Grüsse nach Biel,
      Karin & Family

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