Reise

Durchs wilde Kurdistan

Wir entscheiden uns, den kurdischen Westen des Irans zu bereisen. Dies obwohl hier die Unwetter Ende März am stärksten gewütet und Strassen zerstört haben und Reiseinformationen spärlich zu finden sind.

Was für ein guter Entscheid! Bereits die Landschaft begeistert uns; es ist eine unglaubliche Weite, oft mit idyllischen, an Nordindien erinnernden sattgrünen Hügellandschaften, aber auch unvermittelt auftauchenden Felsen und Bergen in den schönsten Farben. Die Felsen wirken einladend, immer wieder rufen die Kinder „Chlättere gah!“. Alles ist saftig grün im Wechsel mit braunen, fruchtbaren Feldern. Wir fahren durch einfache, aber stets ausgesprochen gepflegte Dörfer, Männer winken uns zu. Die Lastwagenfahrer scheinen besonders Freude an TINKA aus fernen Landen zu haben. Wir werden rausgewinkt, Hände werden geschüttelt, auch ohne Sprache versteht man sich. Es ist rührend, wie oft wir – trotz vollkommen fehlender gemeinsamer Sprache – Zettel mit Telefonnummern in die Hand gedrückt bekommen, für den Fall, dass wir Hilfe bräuchten.

Selbstverständlich ist auch hier die Gesellschaft patriarchalisch geprägt, aber wir erleben es mehrfach, dass der Vater oder Ehemann sich Toralf vorstellt und dann die englischsprechende Tochter das Gespräch mit Karin führt. Wir bekommen Essen geschenkt und Früchte zu kosten. Es sind deutlich mehr Frauen im öffentlichen Leben unterwegs, der Hijab etwas weiter hinten, die Ärmel kürzer, die Schuhe offener. Männer grüssen – wenn auch verhalten – Karin zurück. Wir fühlen uns zunehmend wohler.

Auf dem Weg nach Sanandanj sind wir längere Zeit recht nahe an der irakischen Grenze, auf den Wegweisern sind irakische Orte zu lesen. Dies mutet eigenartig an – beschämenderweise ist der Irak bei uns doch fast ausschliesslich im Zusammenhang von Berichterstattungen über Krieg und Öl präsent.

Wir machen Halt in Sanandanj, erledigen unsere Einkäufe und besichtigen die grosse Moschee. An die vermehrte Polizei-/Militärpräsenz in den kurdischstämmigen Gebieten haben wir uns inzwischen schon gewöhnt und empfanden dies in der Osttürkei deutlich bedrückender. Als die Dichte an Bewaffneten innert Minuten immer mehr zunimmt, beunruhigt dies uns doch . Wir versuchen, den Grund herauszubekommen – leider spricht keiner der Polizisten auch nur ein Wort Englisch. Mit einem Ambulanzfahrer können wir uns soweit verständigen, als dass er uns versichert, dass „das“ (was immer es auch sein mag) nur für Lokale ein Problem sei, nicht aber für uns. Trotzdem fühlen wir uns nicht mehr wohl und machen uns schnellstmöglich aus dem Staub.

Auf der Weiterfahrt öffnet der Himmel mal wieder seine Schleusen und es regnet ohne Unterbruch – irgendwie scheinen wir den Regen anzuziehen! Ungeachtet dessen ziehen die Iraner auch hier ihr Picknick durch – überall raucht und schmaucht es. Wir begegnen einmal mehr dutzenden von farbenfrohen Zelten, die den fröhlich-picknickenden Familien Schutz bieten. Den picknickenden-zeltenden Iranern sind wir schon oft begegnet, picknicken und zelten ist sehr beliebt.

Wie wahr ist doch das Zitat von Farschad, unserem Freund mit iranischen Wurzeln: „der Iraner kommt mit der Picknickdecke unter dem einen Arm und dem Kebabspiess in der andern Hand zur Welt, und unter dem Kopf liegt der Gasgrill.“ Auch scheint die Phatasie, geeignete Picknickplätze ausfindig zu machen beinahe grenzenlos: sei dies in der Mitte einer Strassenkreuzung, auf dem Pannenstreifen der Autobahn oder aktuell auf den Schuttwällen der vorangegangenen Flut.

In den öffentlichen Parks wird oft und gerne gezeltet, bei uns entsteht der Eindruck, der halbe Hausrat wäre mit dabei. Eines abends finden wir es sehr romantisch, dass das neben uns campierende Ehepaar offensichtlich auch noch an hübsch flackernde Elektrokerzen gedacht hat; diese stellen sich am Folgetag als direkte Flamme aus der 5-kg-Gasflasche heraus…

Alltagsbegegnungen – Man(n) versteht sich; auch ohne gemeinsame Sprache

In Kermandschah tauchen wir so richtig in das Alltagleben ein – endlich. Wir suchen einen der grossen Parks auf; dort geht es – v.a. nach Sonnenuntergang, es ist ja Ramadan – zu und her wie auf einem Volksfest: Kinder kreischen auf Gummihüpfburgen, es wird Federball gespielt, aberhunderte von Picknickdecken werden ausgebreitet, überall raucht der Grill, süsslicher Shisha-Duft vermischt mit Grillgerüchen liegt in der Luft. Auch hier wieder all die farbigen Pop-Up-Zelte – das Ganze erinnert an ein riesiges Openair-Spektakel.

Die Kinder dürfen auf eine Karussellfahrt – diese dauert eine geschlagene Viertelstunde, sodass wir schon in Sorge sind, dass sie irgendeinen Blödsinn anstellen könnten, weil es ihnen offensichtlich langweilig wird…obwohl der Spass gerade mal 20 Rappen gekostet hat, verzichten wir auf eine zweite Runde.

An diesem Abend sind wir einfach eine von vielen Familien, unabhängig von unserer Herkunft, des Geschlechts und der Haarfarbe. Wir stehen am Karussell, freuen uns über die Freude unserer Kinder, schlecken Eis, essen Kebapspiesse und finden das Leben einfach wunderbar!

5 comments

  1. Danke für die News….

  2. Liebe Familie,
    Wie immer eine wäre Freude über eure Reise und Erfahrungen zu lesen. Es freut mich sehr dass alle gut gehen. Die Photos sind wirklich sehr schön und ich bin gespannt auf eure weitere Abenteuer

    1. Lieber Antoine
      Wir haben uns sehr über deine Nachricht gefreut! Ich denke häufig an Euch, obwohl ich die Arbeit an sich gar nicht vermisse (muss ich mich jetzt schämen?). Uns allen geht es bestens und wir erleben viele kleine und grosse Abenteuer. Heute hat plötzlich der Motor von unserem Auto (zum Glück nicht von TINKA) gebrannt und wir mussten 2x löschen…oje, man stelle sich das in der Schweiz vor. Wir haben noch knapp 4 Wochen Iran vor uns, dann ziehen wir weiter in die Stans.
      Ganz liebe Grüsse, auch an Valérie,
      Karin & Family

  3. Hallo Karin und Family…Bin immer wieder fasziniert über Eure Berichte und die tollen Fotos…? wer schreibt sie und wer macht die Fotos? Und noch eine Frage, wie wäscht ihr eigentlich Eure Kleidung? Von Hand oder Waschsalon?? ???? banale Frage, ich weiss…??‍♀️?
    Dann noch vielen Dank für die Geburtstagsglückwunsche. Verbrachte einen schönen Tag auf einer Finca im Norden von Costa Rica..???.Nun sind wir an der Pazifikküste im Süden….pura vida????

    1. Liebe Conni
      Pura vida, mae! Oh schön, Costa Rica! Finca ist wahrscheinlich ein besserer Geburtstagsplan als Grenzübertritt. Toll. Das ist auch noch auf unserer Bucket List…werden wir dann mal für die Panamericana ins Auge fassen 😉
      Danke für das liebe Kompliment – bei den Internetbedingungen auf der Reise ist es häufig ein richtiger Challenge, weil schon nur die Verbindung aufbauen ein unglaublicher Akt sein kann, geschweige denn Bilder hochladen…
      Redakteur und Fotograf (meistens) = Karin, Finanzen, Auto und Technik = Karin
      Tja, Waschen…berechtigte Frage, vor allem bei zwei Wühlmäusen, die sich jeweils mit Freude aus dem Auto direkt in den Sand, Dreck, Karrenschmiere, Schlammpfützen (eigentlich alles, was dreckig macht) schmeissen. In Griechenland letztes Mal Waschsalon, dann mit gelegentlicher Handwäsche über Wasser gehalten und nun haben wir in Isfahan für 2 Wochen in der Wohnung eines guten Freundes eine feste Basis, wo wir den Luxus einer neuen Waschmaschine haben. Danach wirds wohl eher mau werden, dafür haben wir ein Fass, das mit Wäsche, Wasser und Waschmittel aufs Dach geschnallt wird. Nach 3 Stunden Rüttelpiste ist das fast so gut wie Waschmaschine 🙂 . Nach der Türkei gibts (whs) bis Indien keine Waschsalons, gelegentlich in Hotels möglich, zT für exorbitante Preise (haben von andern Overlandern gehört, die für Wäsche in Iran 70Dollar bezahlt haben).
      Geniesst es, liebe Grüsse auch an deine bessere Hälfte,
      Karin & Family

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