Reise

Transit durch Belochistan – Quetta, eine etwas andere Stadt

In Jacobabad passieren wir im morgendlichen Nebel erneut beinahe ungeachtet eine Strassensperre , werden im letzten Moment aber doch noch entdeckt und winkend aufgehalten. Die Polizisten schauen uns an, als kämen wir vom Mond und sind sehr erstaunt, dass wir unbegleitet erscheinen. Ab nun ist Eskorte angesagt. Innert einer halben Stunde ist diese organisiert; fortan fährt fünfzig Meter vor uns ein Wagen mit zwei bis drei bewaffneten „Levies“, Polizisten, auf der Pritsche. Von unserer Reise durch Ostanatolien und durch Zentralpakistan sind wir uns diesen Anblick, der durchaus angsteinflössend sein könnte, gewöhnt. Alle naselang wechseln die Eskorten, der Wechsel läuft aber erstaunlich flott. Zu Beginn ist alles noch ziemlich entspannt, je näher wir Quetta kommen, desto angespannter wird die Situation. Bis zur Stadtgrenze haben wir dreissig Eskortenwechsel, in der Stadt selbst eskortieren uns vier Motorräder mit je zwei Polizisten, ein weiteres macht die Road Clearance. Es ist ein seltsames Gefühl – das Leben in dieser Stadt scheint genauso seinen Lauf zu nehmen wie überall. Jedoch ist die allgemeine bewaffnete Polizeipräsenz deutlich höher, an jeder Ecke steht ein Posten, Strassenbarrikaden mit Sandsäcken und Panzersperren allüberall, Stacheldraht omnipräsent. Quetta, eine Stadt, die erst fassbar wird, wenn man sich mit ihrer Geschichte, die von Afghanistan und der Taliban beschäftigt. Wir dürfen für die Nacht auf dem riesigen Polizeihof stehen, am Rande des Krickett-Feldes, besser gesichert als die Kronjuwelen. Neben TINKA werden die Ziegen von einem Polizisten gefüttert und die Kinder der Security-Guards nehmen freudig Kontakt mit Julian und Tabea auf, die sich mit ihren Rädern auf dem Krickett-Platz austoben . Ein Stück Normalität im Ausnahmezustand. In was für einem Paradies wir doch zu Hause leben und es oft nicht zu schätzen wissen!

Am kommenden Morgen müssen wir im Home Departement in der Stadt die Durchfahrtsgenehmigung beantragen. Toralf wird unter Polizeischutz dorthin gebracht werden, derweil Karin und die Kinder in TINKA warten. Soweit der Plan. Plötzlich heisst es, dass alle mit müssen, was wir nicht gerade toll finden. Flugs findet die Verhüllung statt, um möglichst nicht aufzufallen und wir sitzen zu viert neben den bewaffneten Levies auf der Fahrt durchs morgendliche Quetta. Es ist bitterkalt, ein Kohlefeuer auf der Pritsche spendet etwas Wärme. Auf dem Amt machen wir nun auch hier in Pakistan Bekanntschaft mit Beamtenwillkür, die Bewilligung wird erst auf den Folgetag ausgestellt, sodass wir den Rest des Tages in Quetta auf dem Polizeihof festsitzen. Wir wären gerne weiter, warten doch noch fast 700 Kilometer Fahrt auf uns bis zur Grenze.

naja, wir sehen doch noch immer ziemlich europäisch aus…

Am nächsten Morgen früh fahren wir durch das wie ausgestorben wirkende Quetta, heute sind es lediglich 17 Eskortenwechsel. Alles läuft zackig, Pausen sind nicht erlaubt, sodass wir während der Fahrt Essen und Trinken, selbst der Töpfchengang der Kinder wird so vollzogen. Kurz vor Ankunft am Etappenziel Dalbandin müssen wir länger auf den Eskortenwechsel warten und werden freundlich zum heissen, süssen Tee im Kontrollposten mitten im Nirgendwo eingeladen; die Stimmung hier ist deutlich entspannter. Angekommen beim Polizeiposten wird uns mitgeteilt, dass wir ins Hotel müssten. Diese einzig mögliche Unterkunft ist bekannt in Overlander-Kreisen als furchtbare, dreckige und ungepflegte Absteige. Daher weigern wir uns, TINKA zu verlassen, was noch einiges an Diskussionen nach sich zieht, schliesslich aber bewilligt wird. Zwei Polizisten werden für die Wache über die Nacht abgestellt, der Polizeichef persönlich zitiert Toralf zu sich und bestätigt ihm die Sicherheit und dass alles ok sei. Nichtsdestotrotz werden wir kurz vor Mitternacht aus dem Schlaf gerissen: acht mit Maschinengewehren bewaffnete Militärs stehen um TINKA und verlangen Einlass. Dieses „open the door!“ kennen wir inzwischen zur Genüge, ebenso die oft ungenügende oder fehlende Kommunikation zwischen Militär und Polizei. Da das Argument „Frau und Kinder schlafen“ bisher immer zieht, muss es auch jetzt hinhalten; nach Passkontrolle zieht das Militär zufrieden von dannen und wir sinken wieder erschöpft in den Schlaf.

Der nächste Tag ist gleichermassen anstrengend, die ewiglange Fahrt durch ödes Wüstenland bietet keine Abwechslung ausser die unzähligen Pritschenwagen, die zu tausenden Litern Benzinschmuggel aus dem Iran über Afghanistan nach Pakistan betreiben. Schmuggel haben wir uns eigentlich deutlich heimlicher und versteckt vorgestellt, aber selbst der bei uns in TINKA mitfahrende Polizist bestätigt den Schmuggel wie selbstverständlich. Ausgerechnet heute kommt es zu einem unglücklichen Sturz von Julian, bei dem er sich eine unschöne, offene Handverletzung und wahrscheinlich auch einen Bruch eines Fingers zuzieht. Guter Rat ist teuer, wir befinden uns gut 300 Kilometer mitten im sensiblen Nirgendwo vor der Grenze in den Iran. Wir müssen so schnell wie möglich die Grenze passieren, wenn möglich noch heute – Inshallah. Somit mutiert TINKA während der Fahrt erneut zum OP- und Gips-Zimmer, die Verletzung wird versorgt, trotz deutlicher Nervosität und Anspannung gelingt die Gipsschiene auf Anhieb perfekt – einmal mehr sind wir über unsere beider Berufswahl glücklich, da wir so Besatzung und Fahrzeug gleichermassen gut abdecken.

Teetrinken und Warten auf die letzte Eskorte – wir sind müde

Mit viel Glück und Goodwill durch die pakistanischen wie auch iranischen Zollbeamten passieren wir noch am selben Tag ohne jegliche Kontrollen innert einer knappen Stunde beide Grenzen. Auch im Iran werden wir von einer vierköpfigen Militäreskorte empfangen, die wir aber innert der nächsten Stunde während eines Pipihaltes irgendwie verlieren. Wir sind wieder im Iran – es fühlt sich gut an!

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