Reise

Schwieriger Start in Tabriz

Viel schneller und unkomplizierter als erwartet, sind wir nun endlich im Iran! Ein Land, auf das wir uns seit ganz Langem unheimlich gefreut haben und über dies wir schon soviel Gutes gehört haben.

Fast schon gewohnt, findet sich nach der Grenze ein komplett neues Landschaftsbild- immer mal wieder denkt man, man hätte schon so vieles gesehen und wird doch immer wieder überrascht.

Die Strassen sind viel besser als erwartet, der Zustand gut bis sehr gut. Dies trotz der stattgehabten Unwetter vor einem Monat, wo 28 von 31 Provinzen von flutartigen Regenfällen betroffen waren. Gelegentlich gibt es Umwege zu fahren, die meisten Räumungsarbeiten sind aber schon weit fortgeschritten. Auch diese Sorge war umsonst!

TINKA fühlt sich sehr wohl, begegnen wir doch andauernd Verwandten von ihr. Der LKW-Kurzhauber ist hier ein alltägliches Arbeitstier; es tut gut, diese freundlichen Lastwagen in so grosser Zahl zu sehen, und wir fühlen uns endlich so, als würden wir nicht mehr einen rosa Elefanten reiten.

Von inoffiziellen Geldwechslern wurden wir von verschiedener Seite gewarnt und doch möchten wir bald einmal etwas offizielle Währung haben, insbesondere in TINKAs Tank nicht mehr allzu viel Diesel drin ist. Im Iran gibt es für Fremde keinerlei Möglichkeit, Geld mittels Kredit- oder anderer Karten zu beziehen; nur Bares ist Wahres, somit heisst es für uns, baldmöglichst eine Wechselstube zu finden. In der ersten grösseren Stadt versuchen wir unser Glück. Leider treffen wir keinen, der auch nur ein Wort Englisch kann und verzweifeln fast in dem Wirrwarr von Taxen, Transporter und unzähligen PKWs.

Tschuldigung, wo geht’s hier lang? Wir sind etwas unschlüssig…

Schlussendlich entscheiden wir uns – trotz eigentlichem LKW-Verbot in der Stadt und wir mittendrin – einen Polizisten nach dem Weg zu fragen. Wie so oft kommt ein zweiter, dritter und vierter dazu, ein Palaver beginnt. Ein Polizeiauto wird gerufen, Toralf aufgefordert, diesem zu folgen. Sich dazwischendrängende Taxis werden per Megaphon verjagt. Träumen wir dies grad? Wir werden an einen zentralen Kreisel eskortiert, hier sollen wir parken, was bei TINKAs Masse und den vielen andern Fahrzeugen unmöglich scheint. Aber schwuppdiwupp werden stehende Wagen aufgefordert, den Platz zu räumen. Danach wird Toralf einmal quer durch den Bazaar gebracht, um schliesslich bei einer unscheinbaren Wechselstube zu landen, die wir so nie im Leben gefunden hätten. Unter Polizeiaufsicht werden wir nun (Rial-)Millionäre, und dies noch zu einem richtig guten Kurs. Die Polizisten lassen es sich nicht nehmen, uns nochmals quer durch die ganze Stadt und sicher auf den weiteren Weg zu bringen.

In der Dunkelheit erreichen wir Tabriz, eine Millionenstadt und wichtiges Handelszentrum sowohl in der Vergangenheit wie auch noch heute. Zum Glück gibt es hier einen bei Overlandern bekannten Stellplatz inmitten der Stadt, sodass uns wenigstens eine mühselige nächtliche Suche erspart bleibt. Wir freuen uns auf den morgigen Tag und wollen die Stadt erkunden.

Das erste Mal in unserem doch schon längeren Reiseleben trifft uns ein Kulturschock , den wir bisher nur vom Hörensagen kennen. Das „öffentliche Patriarchat“ erwischt uns mit voller Wucht, vor allem für Karin äusserst gewöhnungsbedürftig. An der Grenze haben wir noch gelacht, als unsere Papiere mehrfach in die „richtige“ Reihenfolge – Vater, Sohn, Tochter, Mutter –  gebracht wurden…nun erleben wir es in allen Dimensionen. Während dem die Männer bei der Hitze in angenehmen Kurzarmhemden und barfuss in Sandalen unterwegs sind, haben die Frauen knöchelbedeckende Hosen und Hemden, geschlossene Schuhe  sowie zusätzlich noch den Manteau und den Hijab zu tragen. Das Strassenbild ist maskulin geprägt, die wenigen Frauen tragen häufig den Tschador, was auf Farsi bezeichnenderweise Zelt heisst.

Wir begeben uns in den riesigen Bazaar, mit seinen 7x7km offenbar der grösste im ganzen Iran und sehr eindrücklich mit seinen vielen Karawansereien und alten domartigen Hallen. Zu unserem Erstaunen sind die Preise oft angeschrieben. Die Freude am Shoppen will aber nicht so richtig aufkommen, werden selbst die Kleider und die Kosmetikpinzette mit dem Mann verhandelt. Ebenso wird es beim Bäcker erwartet, dass sich Toralf abends in die Reihe stellt, beim Erkundigen nach dem richtigen Weg, beim Erwerb der SIM-Karte und im Restaurant. Die Menschen sind zurückhaltend-hilfsbereit zu Toralf, die Frau als Mutter scheint neben dem Mann in der Öffentlichkeit inexistent zu sein.

Über die Kleiderordnung und sonstige Konventionen haben wir uns selbstverständlich vor der Reise kundig gemacht, es ist aber nochmals ein anderes Thema, diese ganz konkret zu erleben. Uns beiden schlägt diese Neuverteilung der Rollen aufs Gemüt zudem werden wir von einem „Guide“ belagert, kaum sind wir ausserhalb TINKA. Somit entscheiden wir uns, trotz optimalem Stellplatz inmitten einer Stadt mit vielen Sehenswürdigkeiten am dritten Tag schon weiterzuziehen.

2 comments

  1. Kontraste – andere Lebensumstände . Interessant wäre es zu erfahren wie die Irani in der Schweiz sich fühlen in der Begegnung mit unseren Lebensformen. n

    Ich frage mich ob unsere Polizei einer fremden Familie auch eine Polizeieskorte geboten hätte. Wäre doch einmal einen Versuch wert.

    Ich wünsche Karin viel Gelassenheit!

  2. Lieber Marcus, kennst mich ja – Gelassenheit ist nicht einer meiner Haupttugenden 😉 Inzwischen sind wir eingetaucht in den Iran und durften durch die fast grenzenlose Gastfreundschaft auch viele Einblicke „ins Innere“ erhalten. Auch für viele Frauen von hier ist Gelassenheit etwas, was sie täglich üben müssen…später mehr dazu.
    Herzliche Grüsse – inzwischen aus Isfahan,
    Karin & Family

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