Reise

Donaudelta – das Biosphärenreservat mit Schattenseiten

Obwohl uns die Strecke ins Donaudelta ursprünglich zu weit war, schmökern wir beide im Reiseführer doch immer wieder in diesem Kapitel. Die hohen Temperaturen schmälern den Kulturhunger zudem. Der Entschluss steht: auf ins Donaudelta! Zuerst gehts ins durchs rumänische Moldavien. Hier geniessen wir erst mal wieder die weite Natur, das freie Stehen. So stellen wir uns das Reisen vor! Die Kinder vergnügen sich in den Wiesen, flechten Haarkränzchen aus Margeriten, flitzen mit ihren Rädern über natürliche Downhilltreks – zweimal am Tag kommt der Schäfer mit seiner Herde vorbei, nachts beeindrucken uns die unzähligen Glühwürmchen mit ihrem Spiel. Dieses freie und einfache Leben tut uns gut, lässt uns zur Ruhe kommen.

Am kommenden Abend stehen wir an einem traumhaften Stellplatz. Es ist eine Art Kap über dem grössten See Rumäniens. Wir stehen einsam, Die Brandung schlägt an die Felsen, ein leichtes Lüftchen weht, die Sonne versinkt in kitschigem Orange am Horizont. Damit die Szenerie nicht zu perfekt wird, melden sich die Mücken. Inzwischen an diese Plagegeister gewöhnt, schrecken uns die ersten Exemplare kaum. Als sich eine buchstäblich schwarze Wolke mit einem zuvor nie gehörten Surren TINKA nähert, finden wir dies nicht mehr sehr angenehm und ziehen uns ins Innere zurück. Durch jedes noch so kleine Loch drängen sich die Mücken rein. Es bleibt uns die Wahl zwischen Pest und Cholera – Schlafen (oder besser gesagt Übernachten) in Tropenhitze oder den Mückentod sterben. Irgendwie bringen wir die Nacht rum und sind am kommenden Morgen nichtsdestotrotz völlig verstochen. Im Allgemeinen ist morgens von der abendlichen Mückenplage nichts mehr zu sehen – dies sieht heute aber komplett anders aus. Ein groteskes Bild bietet sich: TINKA ist bepflastert von Abertausenden Mücken! Beim Durchschreiten des Insektenvorhanges der Tür schwappt eine Mückenplethora in TINKA hinein. Fluchtartig verlassen wir diesen Platz – sowas haben wir noch nie erlebt, ähnlich müssen sich die Biblischen Plagen angefühlt haben.

Um nach Tulcea, dem Ausgangspunkt ins Donaudelta, zu gelangen, müssen wir über die Donau. Einmal mehr darf TINKA Schiff fahren und wir mit.

Tulcea, eine einst wohl einst blühende Binnenhafenstadt erinnert uns an Karakol, eine kirgisische Stadt, deren kommunistischer Glanz längst abgeblättert ist, sich aber noch gut erahnen lässt. Während dem wir auf der bisherigen Reise stets den Eindruck von Aufbruch und Fortschritt hatten, macht sich hier eine gewisse Trostlosigkeit breit. Zweimal torkelt ein Betrunkener vor uns auf die Strasse – Vollbremsung mit TINKA: jedesmal ein Vergnügen. An der Hafenpromenade, die diesen Namen eigentlich nicht verdient, tummeln sich unzählige Obdachlose und Randständige. Einerseits deshalb, aber auch weil uns die Wärme zu schaffen macht, ziehen wir deshalb einen etwas weniger freistehenden und entsprechend auch weniger romantischen Platz vor. Für ein kleines Entgelt dürfen wir in der Werft stehen. Einladung zum Palinka und Kirschlikör aus Maramures inklusive. So verbringen wir einen netten, feuchtfröhlichen Abend in der Werftwerkstatt und unterhalten uns auf Spanisch, Italienisch und wie gewohnt mit Händen und Füssen.

Es bestätigt sich einmal mehr unsere Reisedevise, mit der wir allermeist sehr gut fahren: bloss nicht zu viel im Voraus organisieren! Bis um 23Uhr hatten wir noch keinen Ausflug ins Donaudelta organisiert, ein angeheitertes Telefonat später unter Kollegen: der morgige Ausflug ist organisiert und zwar zu Einheimischen-Preisen.

Nur schwer können wir Tabea von den wilden Katzen auf dem Parkplatz weglocken – ihr ganzes Frühstücksbrot geht an sie. Der Ausflug ins Delta steht an!

Das Donaudelta befindet sich im Mündungsgebiet der Donau in das Schwarze Meer und stellt nach dem Wolgadelta das zweitgrößte Delta Europas dar, das ein riesiges Gebiet von 5800 km² umfasst. Unglaubliche 5200 Tier- und Pflanzenarten sollen in diesem einzigartigen Ökosystem leben.

Für unseren Geschmack sind wir viel zu schnell unterwegs. Unser Schnellboot pflügt durch die Irrwege und Kanäle des Deltas, diverse Vogelarten – Kraniche, Eisvögel, Kormorane – flattern auf. Darauf angesprochen, erklärt uns der Bootfahrer, wir hätten schliesslich noch 220km Fahr vor uns. Unzählige andere Boote tun es uns gleich, teils mit plärrender Musik an Board. Wir sind überzeugt, dass diese Art des Tourismus die Grenzen der Naturverträglichkeit überschreitet und haben ein schlechtes Gewissen, dies so zu unterstützen. Nichtsdestotrotz geniessen wir die unglaubliche Natur in ihrer Vielfalt . Ein Highlight sind die Pelikan-Kolonien, aber auch alle andern Vögel, Schakale und Wildpferde.

Müde kommen wir bei untergehender Sonne zurück. Es war ein schöner Tag, der aber einmal mehr Fragen aufgeworfen hat. Was nützen all die Auszeichnungen wie Unesco-Weltnaturerbe, Naturschutzgebiet von nationaler und internationaler Bedeutung, geschütztes Biosphärenreservat etc., wenn dem nicht oder nur wenig Rechnung getragen wird? Muss es immer erst kurz vor dem Kollaps sein, bis Restriktionen greifen? Steht der Profit des Einzelnen über allem? Einige wenige scheinen gut an dem Geschäft auf Kosten der Natur zu verdienen, währenddem viele mehr nichts vom Kuchen abbekommen.

Nachdenklich machen wir uns auf den Weiterweg und hinterfragen einmal mehr touristische Ausflüge dieser Art.

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