Um es vorwegzunehmen: der Iran hat uns berührt, begeistert, bereichert, uns aber bisweilen ratlos, traurig, irritiert, wütend und voller Fragen hinterlassen. Kein bisheriges Land, das wir bereist haben, hat uns mit dermassen ambivalenten Gefühlen versehen!
Begonnen hat unsere Reise vor zwei Monaten in Tabriz – retrospektiv eine der konservativsten Städte, die wir im Iran besucht haben, die Allgegenwärtigkeit des Patriarchats quasi übermächtig – insbesondere mit dem Zusammentreffen des Ramadanbeginns. Somit war der Start in dem von uns so mit Vorfreude erwarteten Land nicht besonders geglückt.
Bazaar Tabriz
Der kurdische Westen mit seinen friedlichen Weiten und den sanftgrünen Landschaften hat uns aufatmen und zur Ruhe kommen lassen. Die zurückhaltende Liebenswürdigkeit der Menschen hat das Ihre beigetragen; wir haben uns von Tag zu Tag wohler gefühlt .
Im Süden wurden nicht nur die Temperaturen täglich heisser, sondern auch die Kontakte wärmer und wärmer. Wir haben Gastfreundschaft von Menschen erlebt, die uns noch heute Tränen in die Augen treibt: selbstlos, grosszügig und voller Herzlichkeit – einfach so! Wir durften Menschen kennenlernen, zu denen sich die Kontakte – ganz anders als bei den häufigen Reisebekanntschaften – hoffentlich halten werden. Diese Menschen haben uns an ihrem Leben, ihren Sorgen und Freuden offen teilhaben lassen – diese unglaubliche Herzlichkeit und Gastfreundschaft hat uns tief berührt.
Bushehr
In Isfahan durften wir dank unserem Freund und seiner grossen und grosszügigen Familie so richtig ins Alltagsleben eintauchen: Einkaufen, Reparaturen, Taxifahrten, Restaurants, Parks, Spielplätze, Zoo, Ausgang, Einladungen, Garage, Wanderungen. Dies in einer vor Kultur überquellenden quirligen Stadt. Auch hier wurden wir von so vielen Menschen freundlich aufgenommen.
Die Reise durch den zentralen, „klassischen“ Iran mit den bekannten Städten/Stätten wie Kashan, Shiraz, Yazd, Persepolis und Pasargardae hat unseren Kultur-Reiserucksack mit Eindrücken prall gefüllt; teils so sehr, dass wir von wunderschön blau-grün gekachelten Moscheen und kunstvoll gestalteten Palästen fast übersättigt waren und den botanischen Garten der X-ten Freitags-Moschee oder dem Mausoleum vorgezogen haben. Nichtsdestotrotz haben die Kinder bis zum letzten Tag stets „Mama, Moschee, fötele!“ gerufen – ihnen haben diese Prachtsbauten mit den glitzernden Kuppeldächern sehr gut gefallen.
Kharanaq Caravanserai
An den Norden des Landes hatten wir keine allzu grossen Erwartungen, wurde uns doch mehrfach versichert, dass dieser nicht besonders sehenswert sei. Umso erstaunter und erfreuter sind wir in den wunderschönen Elbrus-Bergen herumgewandert, sind in Bergseen geschwommen und haben weitere Nachmittage und Abende mit herzlichen Iranern beim Campen und Picknicken verbracht. Teheran haben wir lediglich „en passant“ genossen – die 6 spurigen Autostrassen haben wenig Entspannungsgefühl aufkommen lassen. Die Reise entlang des Kaspischen Meers hat uns nochmals ganz neue Landschaften gezeigt und uns sachte an Turkmenistan herangeführt.
Insgesamt haben wir zwei sehr bereichernde und enorm abwechslungsreiche Monate in einem wunderbaren Land verbringen dürfen. Es wäre aber Schönmalerei, die negativen und traurigen Seiten einfach auszublenden. Dies mag einem vielleicht auf einer Kurzreise gelingen, nicht aber in der Art und Länge, wie wir gereist sind.
Zu sehr haben wir Einblick in viele iranische Leben haben dürfen, zu sehr haben wir – wenn auch nur ganz ansatzweise – am eigenen Leib spüren können, was es heisst, sich in einem Land aufzuhalten, das sich zwar Republik nennt, aber nichts anderes als eine patriarchalische Theokratie ist, in welcher die Gesetze nach Gutdünken der Religionsführer ausgelegt werden, die Rechte der Frau weit hinter denen des Mannes stehen. Das bedrückende Gefühl, in der Öffentlichkeit möglichst nicht aufzufallen, sich gesetzeskonform zu kleiden und zu verhalten, hat bis zum letzten Tag angehalten und unschön angefühlt. Selbst die Kinder haben das Spielen mit dem Schal auf der Fahrt unterbrochen mit den Worten „Mama, Polizeikontrolle“ oder haben immer mal wieder auf die Unterschiede zwischen Mann und Frau hingewiesen. Dass Mama nur in Vollbekleidung baden darf, während Papa in der Badehose in den See hüpft, hat sie verwirrt. Auch immer darauf bedacht zu sein, seinen Gastgeber möglichst nicht auffallen lassen, von den schönsten Momenten keine Fotos zu zeigen, hat ein Gefühl der Beklemmung und Verunsicherung hinterlassen. Von einem kritischen Reise-Artikel fürs Bieler Tagblatt wurde uns abgeraten, da wir bei Erscheinungsdatum noch im Lande geweilt haben. All diese Dinge fühlen sich an wie ein unsichtbares Korsett – Durchatmen und sich freifühlen: unmöglich.
Im Land der Mullahs

Die ersten Einblicke ins private Leben haben uns fast umgehauen, so eklatant hat es sich vom öffentlichen unterschieden. Wir haben tiefgläubige Musliminnen angetroffen, die den Kleidungszwang und die Beschneidung ihrer Rechte zutiefst verachteten. Wir haben den Iran als ein Land kennengelernt, in dem die Befürworter der islamischen Revolution selbst von dieser gefressen und wieder ausgespuckt wurden, statt versprochenem Heil Unterdrückung erfahren haben, um gleich anschliessend 8 Jahre dem Krieg gegen den Irak zu trotzen. Durch die Revolution wurden die Menschen nicht vereint, der Krieg hat sie aber notgedrungen zu einer ambivalenten Einigkeit gezwungen. Ein Land mit jahrtausendalter Kultur- und Bildungstradition, wo eigene Meinungen nicht gefragt oder sogar gefährlich sind; stattdessen wandern seit Jahrzehnten tausende von gebildeten jungen Menschen aus – dies obwohl sie mit ihrer Kultur tiefverwurzelt und auf ihr Land zu Recht äusserst stolz sind. Kaum einer, der nicht einen Cousin oder zumindest einen Freund hat(te), welcher aus Nichtkonformitätsgründen verfolgt, gebüsst, gefoltert oder gar getötet wurde. Dieses Land und seine so liebenswürdigen und grosszügigen Menschen wurden von der Geschichte der letzten 50 Jahren durchgeschüttelt und Ruhe will nicht einkehren. Die derzeitigen Handels-Sanktionen, einhergehend mit der grotesken Inflation der letzten zwei Jahre drehen das Rad weiter, unten am persischen Golf, wo wir unsere schönsten Tage im Iran verleben durften, brodelt es.

Selten hat uns ein Land so sehr berührt, so sehr gefangen genommen wie der Iran – wir verlassen es wehmütig und in der Ungewissheit, wie es all den liebgewonnenen Menschen in der nächsten Zeit ergehen wird. Wir wünschen uns sehr, dass Friede, Gerechtigkeit und Ruhe eintreten möge.
auf den punkt gebracht. danke für den coolen beitrag. gruss adi
Danke! Schön, von Dir zu hören, Adi.
Hallo zäme, viel Stoff zum nachdenken.
Nun weiter mit intensiven Erfahrunen auf eurer Reise……
Gruss Yolanda und Hans
Stimmt, es bleibt vieles in Erinnerung, negative wie positive Sachen. Aber die unglaubliche Gastfreundschaft der Iraner mache einfach nur sprachlos und bleibt unvergessen.
Der Süden und die Region am Persischen Golf haben mir auch am besten gefallen, Ich hoffe auch, dass der Frieden dort erhalten bleibt.
Liebe Antje, auch Wochen nach Verlassen des Irans vermissen wir das Land und seine Leute noch. Es war eine so gute Reiseerfahrung! Danke nochmals für den Süden-Tipp!