Reise

Ostanatolien – zwischen Kulinarik und Kultur

Wir sind komplett überfordert, stehen da und glotzen. Vor uns hängen 12 verschiedene Packungen Wurst. Ähnlich beim Brot – sieben Sorten und dann noch Kleingebäck. Schliesslich endet unser Grosseinkauf mit einer Packung Popcorn, einer Rolle Schokokeksen und einem Brot. Wir sind wie erschlagen von dem riesigen Angebot, das wir im  Supermarkt in Van, Ost-Türkei, antreffen. Wir sind wieder in einer anderen Welt! Seit Monaten haben wir in kleinsten Büdchen oder meist direkt beim Verkäufer an der Strasse eingekauft. Kaufen oder Nicht-Kaufen war die maximale Entscheidungsmöglichkeit, ein netter Schwatz mit dem Verkäufer inklusive. Beim letzten Einkauf im Iran gab’s sogar noch einen heissen Tee und Zeigen des Familienalbums inklusive.

Es wäre aber gelogen, würden wir verneinen, dass wir das phänomenale Frühstück, das wir am schönen Van-See in einem gemütlichen Kaffee in tiefverschneiter Landschaft zu uns nehmen, nicht geniessen würden.

Julian und Tabea freuen sich über den vielen Schnee, die Eiszapfen an TINKA sind länger als sie. Obwohl auch wir die winterliche Stimmung schön finden, halten wir nach Abklären der Sicherheitslage an unserem Plan fest: wir wollen wieder wärmere Temperaturen, es geht über Ostanatolien an die Küste. Dabei werden wir uns über mehrere Tage nahe der syrischen Grenze aufhalten. Im Moment ist die politische Lage stabil – inzwischen wissen wir ja aber leider, dass das gar nichts heissen muss.

In Diyarbakir, bekannt als Zentrum der kurdischen Widerstandsbewegung, gönnen wir uns seitl langem mal wieder ein schönes Hotel – die Sicherheitssituation empfiehlt es so und wir haben auch Lust auf etwas Verwöhnprogramm. Die Receptionistin ist erst etwas erstaunt, als wir den Schlüssel zum Parken unseres Fahrzeuges nicht aushändigen wollen, ist dann aber recht schnell zu überzeugen. Unsere TINKA macht sich unter den Luxuskarossen ungefähr so gut wie wir uns unter dem russisch und indischen Jet Set, der im Hotel weilt. Wenn die über unseren Reichtum an Erlebnissen wüssten! Wir geniessen die Annehmlichkeiten sehr – noch immer ist, ausgiebiges Duschen ein Riesenluxus für uns – und zudem noch warm! Und wir staunen: unsere kleine Tochter schwimmt mit Brettchen tatsächlich 25 Meter am Stück, und Sohnemann taucht dafür mit offenen Augen. Die vielen Tage an See und Meer haben Spuren hinterlassen. Die Kälte hockt uns noch in den Knochen, sodass selbst die Kinder die Sauna geniessen. Wir lassen den Tag in der grossen Shopping-Mall gegenüber dem Hotel ausklingen. Auch hier überfordert uns das Angebot – trotzdem müssen wir Socken, Winterstiefel und Mützen kaufen; Flipflops sind definitiv die falsche Wahl beim aktuellen Wetter.

Wintersicher ausgerüstet geht’s am Folgetag zur Erkundigungstour. Das graue Wetter lässt dunklen Basalt-Stadtmauern noch abweisender erscheinen – diese sollen nach der Chinesischen Mauer die längsten der Welt sein. Nach dem Erklimmen belohnt einem ein eindrücklicher Blick auf den Tigris. Wir sind in Mesopotamien, zwischen Euphrat und Tigris. In der Stadt herrscht emsiges Treiben, wir sind aber weit und breit die einzigen ausländischen Touristen. Wir lassen uns durch die Gassen und Gässchen treiben und stehen bald im Zentrum, vor uns der grosse Komplex der Freitagsmoschee, eine der ältesten in Mesopotamien.

Wie unterschiedlich eine Stadt doch auf einen wirken kann! Als wir am Spätnachmittag in Mardin ankommen, wirkt die Altstadt im feuchtnassen Grau wenig einladend, beinahe etwas bedrohlich, und unser Stellplatz lässt jegliche Romantik vermissen. Als am Folgetag die Sonne hinter der Moschee hervorblinzelt, versprüht das in den Hang gebaute kleine Städtchen mit seinem Labyrinth mäandrierender Häuserreihen und Steinhauskaskaden, unterbrochen durch Minarette, seinen ganzen Charme. Noch heute spürt man den faszinierenden Mix aus syrischer, kurdischer und christilicher Kultur. Von unserem Stellplatz aus bietet sich ein weiter Blick auf Syrien – die Grenze verläuft keine zwanzig Kilometer von hier.

Immer entlang der syrischen Grenze geht’s über Göbekli Tepe, einer neolithischen Ausgrabung, die sage und schreibe auf 9500 vor Chr. datiert wird, weiter nach Sanliurfa, eine der wichtigsten Pilgerstätten in Ostanatolien. König Nimrod soll Abraham/Ibrahim hier auf dem Scheiterhaufen bestraft haben wollen. Gott habe das Feuer in Wasser, die Kohlen in Fische verwandelt. Daran angelehnt ist der grosse Gölbaschi-Komplex mit viel Wasser und den heiligen Karpfen darin. Ob diese tatsächlich heilig sind, haben wir nicht herausgefunden, wohl sind es aber die wohlgenährtesten Viecher weit und breit – Fischfutterverkäufer scheint hier ein einträglicher Beruf zu sein! Die vielbeschriebene spirituelle Atmosphäre will in den Pistazien- und Popcorn-knabernden Menschenmassen mit bimmeldnen Handies, Kindern auf motorisierten Untersätzen und im Paillettenornat verkleideten Touristen-Königen nicht so recht aufkommen. Aber schön ist es trotzdem.

Gaziantep hat den Ruf einer Kultur- und Kulinarik-Stadt. Erst lockt es uns ins Zeugma-Mosaik-Museum. Wir sind beeindruckt! Noch selten haben wir ein so fantastisches Museum besucht; es zieht uns völlig in den Bann. Auch die Kinder sind von den Exponaten fasziniert, sie finden die Griechische Mythologie spannend und fragen uns ein Loch in den Bauch, das tief aus dem schon ziemlich verstaubten Altphilologie-Gedächtnis gestopft werden muss. Oder wer war doch nun schon Ariadne? Auch sonst bietet die Stadt viele interessante Museen – wir alle zeigen eine erstaunliche Ausdauer und stillen unseren Kulturhunger.

Wimmelbild: Blick von der Burg – wer findet TINKA?

Danach gilt es, den Ruf der Kulininarik zu testen. Wir essen und kreuz und quer durch die anatolische Küche – der Tisch beugt sich beinahe unter all den Schüsseln und Schalen. Und selbst unser wählerischer Julian findet etwas, was ihm schmeckt. 200 Baklava-Bäckerein sprechen für sich, die besten dieser Köstlichkeiten sollen von hier kommen. So müssen wir natürlich auch diese testen. Nach einem Jahr der eher schmalen Küche lässt uns dieser Exzess eine etwas schwere Nacht erleben.

Am nächsten Tag ist Kinderprogramm – sie möchten unbedingt wieder mal in einen Tierpark. Zum Glück hat Gaziantep einen Zoo, der sogar als einer der grössten und schönsten in Asien gilt. Wir verbringen zwar einen entspannten Tag, gross ist der Zoo, die Anlagen sind ganz hübsch, aber unsere Auffassung von tiergerechter Haltung ist doch eine ziemlich andere.

Müde und hungrig wollen wir zuerst unseren Übernachtungsplatz suchen, als wir eine unerfreuliche Überraschung entdecken: die Ladekontroll-Leuchte macht ihrem Namen alle Ehre – und zwar auch noch nach dem Start. Ach herrje, die Lichtmaschine erzeugt nicht genug Spannung, die Batterie wird nicht geladen. Was für ein Mist: statt Salat und Spaghetti gibts nun Stirnlampe und Spannungsmesser. Wenigstens spielen die Kinder ruhig in TINKA, während wir uns schlotternd über die geöffnete Motorhaube beugen und Worst-Case-Szenarien durchsprechen. Schlussendlich ist es ein banales Kontaktproblem, das durch Ausbau und Wiedereinbau leicht behoben werden kann. Nochmals Schwein gehabt!

Gepanzerte Polizeifahrzeuge – das tägliche Bild

2 comments

  1. Unglaublich schöne Fotos. Einfach grossartig, Eure Reiseberichte, als wäre man dabei.

    1. Vielen lieben Dank Conni!
      Bis bald mal hoffentlich wieder persönlich.
      LG Karin

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