Reise

Wunschlosigkeit führt zur inneren Ruhe – entspannte Tage am Issy Köl

Wasser fasziniert;  Julian und Tabea können sich nicht zurückhalten, kaum ist eine Pfütze in Sicht. Der weitere Weg führt uns also erneut zu einem See, dem Issy Köl,  der nach dem Titicaca See der zweitgrösste Bergsee ist. Sein Name, übersetzt „warmer See“, ist Programm: auch im Winter friert dieser nie zu.

Nach Fahrt durch weite Landschaften, die uns an die aus Michael Ende’s „MOMO“ erinnern, erreichen wir Balykchy, die Stadt am Westende des Sees. Einst wichtigste Stadt im Schiffsbau, hat auch dieser Ort durch den Untergang der Sowjetunion seinen ehemaligen Glanz verloren, einzig die wenigen Buden mit den ewiggleichen Schwimmringen und -bällen stellen freundliche Farbtupfer im kommunistischen Einheitsgrau mit maroden Fabrikgebäuden dar.

Bei Einfahrt in die Stadt werden wir von der Polizei angehalten; diesmal solls das fehlende Licht gewesen sein. Nun geht’s ums Verhandeln. Fast immer werden Fantasiepreise genannt, die gar nichts anderes als Handeln zulassen. Die Busse für fehlendes Licht soll offizell um die 2 Euro kosten, heute wird sie zuerst auf zwanzig, dann plötzlich auf dreissig Euro hochgesetzt. Meist ist es schon wirkungsvoll um Name und Dienstnummer zu bitten, heute reicht einmal mehr der Kinderbonus. Nach dem – natürlich rein zufälligen – Dazukommen von Karin mit den Kindern werden wir so einfach verabschiedet und weitergeschickt wie wir angehalten wurden. Etwas baff, da wir eine gerechte Busse ja selbstverständlich bezahlt hätten, machen wir uns auf. Und hauen die gesparten 20 Euro mit einem Wocheneinkauf im lokalen Delikatessladen auf den Kopf – und einen der farbigen Schwimmringe für die Kinder gibt’s noch obendrauf!

Nur das Wetter lädt nicht gerade zu einem Bad im See ein – seit vier Monaten am Stück haben wir das erste Mal richtiges Regenwetter und nicht nur mal einen vereinzelten, meist sehr kurzen, Regenschauer. Es regnet zwei Tage am Stück, sodass wir weiterziehen Richtung Osten. Mit Karakol, einer kleinen, sympathischen Stadt am Ostende des Sees und Ausgangspunkt für Trekkingtouren finden wir einen sympathischen Ort zum Verweilen und quartieren uns seit langem mal wieder in ein Hostel ein; mit heisser Dusche und Waschmaschine (!) – was für ein Luxus!

Die Buckelpisten um den Song Köl haben ihre Spuren bei TINKA hinterlassen, vier der sechs Tankkonsolen (Tankbefestigung) sind gebrochen. Um den Schaden zu reparieren, müssen beide Tanks ab. Während sich Toralf mal wieder ins Mechaniker-Kombi schmeisst und mit den Mechanikern einen Tag in der Werkstatt verbringt, ziehen Karin und die Kinder los, um sämtliche Regenpfützen von Karakol zu durchhüpfen und statten dem einzigen Zoo Kirgistans einen Besuch ab. Leider ist dieser ein Aufgebot trister Kreaturen; der traurige Löwe vegetiert neben dem depressiven Bären auf dem gestampften Lehmboden in einem winzigen Verschlag, während sich die Geier selbst rupfen.

Abends verzieht sich der Regen, zum Vorschein kommt das ganze Bergmassiv – frisch mit Schnee überpudert, was die Kinder „Skifahren“ fordern lässt. Tatsächlich ist Karakol das Skigebiet in Kirgistan, hauptsächlich besucht von kasachischen Touristen. Kasachstan liegt schliesslich nur einen Steinwurf entfernt. Da es zum Skifahren noch zu wenig Schnee hat, machen wir uns zum Wandern auf. Die grossen alpinen Touren locken sehr, sind momentan aber noch nicht ganz in greifbarer Nähe mit den Kindern. Umso mehr freuen wir uns, dass die beiden wacker mithalten und 15 Kilometer mit 700 Höhenmetern tippeln – nur die Rucksäcklein werden nach der Hälfte abgegeben.

Wir stehen am Eingang eines Bergdorfs; es gefällt uns hier so gut, dass wir mehrere Tage bleiben und von hier aus Wanderungen unternehmen. Die Pferde grasen um TINKA, es ist friedlich. Immer und immer wieder bettelt Tabea, reiten zu dürfen. Schliesslich geben wir nach und kurze Zeit später dürfen wir „Archy“ in unserer Mitte begrüssen. Nach Jahren der Abstinenz und mit reichlich Respekt schwingt sich Karin in den Sattel – das Reiten gefällt den Kindern so gut, dass sie das Tier gar nicht mehr ziehen lassen wollen und sich nur mit Aussicht auf Baden am See vertrösten lassen.

Bei nun wieder blendendem Wetter und spätsommerlichen Temperaturen finden wir einen absoluten Traumplatz direkt am See. Nach  einer halben Stunde Holperpiste treffen wir abseits von jeglicher Zivilisation auf eine kleine Bucht mit türkis-blauem Wasser, feinstem Sand und Aussicht auf die Schneeberge. Die Tage gehen mit Lesen, Schreiben, Reisevorbereitungen, Bädele, Buddeln und Spielen wie im Flug. Wir alle sind glücklich und entspannt wie schon ganz lange nicht mehr. Wir geniessen die letzten Tage Kirgistan in vollen Zügen und mit Wehmut. Dieses Land, von dem wir nur wenige Vorstellungen hatten, hat uns richtig geerdet und durchatmen lassen. Hier hätten wir problemlos noch mehrere Wochen verbringen mögen!

Der bevorstehende China-Transit liegt uns auf dem Magen. Die Berichte anderer Overlander verheissen anstrengende und mühsame Tage, ausserdem schneiden wir uns mit diesem Transit defintiv die einfache Möglichkeit einer Rückfahrt nach Hause ab. Wir diskutieren hin und zurück. Nur zu gerne möchten wir auch wieder Überland nach Hause reisen und nach den vielen positiven Erfahrungen in den postsowjetischen Ländern wäre dies auch reizvoll. Wir haben den Transit durch China aber von langer Hand geplant und vorbereitet, die China-Visa waren ein mühsamer Akt und schliesslich möchten wir die andern Gruppenmitglieder nicht hängen lassen. Für China braucht es als Selbstfahrer gezwungenermassen einen Guide, der gesalzene Preis kann in der Gruppe gemindert werden; seit mehreren Wochen oder gar Monaten sind wir mit den andern Gruppenmitgliedern in Kontakt, einige davon haben wir bereits auf dem Weg angetroffen.

Am Vortag der China-Einreise treffen sich alle vier Truck-Teams bei der ältesten Karavanserai Kirgistans, Tash Rabat; die drei Motorradfahrer werden am nächsten Morgen zu uns stossen. Auf dem Weg nach Tash Rabat treffen wir Emil, den Dorfpolizisten, der dort zum Rechten sehen will. Ein Plätzchen findet sich immer irgendwie und so holpern wir eine der letzten Strecken in Kirgistan zu fünft. Oben angekommen organisiert er für die Kinder ein Pferd – Dankeschön auf Kirgisisch.

Wir sind erleichtert, die andern Gruppenmitglieder sind sympathisch und haben so manch lustiges Reiseerlebnis zu erzählen – in so einer Gruppe müsste auch ein mühsames Prozedere gut zu überstehen sein!

Trotzdem schlafen wir schlecht, die Anspannung lässt sich nicht wegdiskutieren, insbesondere auch der Umstand, was beim Grenzübertritt alles nicht erlaubt sei: Früchte, Gemüse – auch in Büchsen – frische Lebensmittel wie Eier, Milch etc.. Messer in jeglicher Form würden konfisziert, genauso wie Landkarten, Reiseführer etc., die unter Umständen vermeintlich staatsfeindliche Abbildungen oder Äusserungen enthalten könnten. Sämtliche Elektronikgeräte inklusive aller Fotos würden kontrolliert, missliebiges gelöscht und Spezial-Software draufgeladen. Wilde Gerüchte kursieren in der Overlander-Community. Entsprechend verstecken alle Gruppenteilnehmer irgendwie irgendwo ihre Schätze, Computer und Mobiles werden vorbereitet.

Am nächsten Morgen nehmen wir mit Wehmut Abschied von den wunderbaren Weiten Kirgistans. Mit dem Exit-Stempel ist die Zentralasien-Zeit nun definitiv Geschichte, gute Geschichte. Die „Stans“ waren äusserst interessant und haben uns gut gefallen. Turkmenistan war in seiner Gegensätzlichkeit spannend, Usbekistan mit all seinen wunderschönen blau-grün-gekachelten Monumenten eindrücklich, in Tadschikistan sind wir auf einmalig schöne Landschaften getroffen, die sich auch in Kirgistan, dem Land der Pferde und Jurten, der Stutenmilch und den Kurut, den salzigen Joghurtbällchen, fortgesetzt haben. Wir schlucken und werfen nochmals einen wehmütigen Blick zurück auf dieses Land, das uns so sehr gefallen hat – jetzt gibt’s kein Zurück mehr, auf nach China!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert