Reise

Ehre, wem Ehre gebührt – TINKA fährt nach Indien ein

Hinter uns schliesst der pakistanische Wachhabende das eine grosse Tor, das indische öffnet sich. Eine Welle frenetischen Gekreisches und Geklatsches brandet uns entgegen, laute Musik schallt aus den Lautsprechern. Eine farbenfrohe Menschenmenge, Fussballfans in einem Stadion gleich, erhebt sich und winkt uns Indienfahnen schwenkend zu. Wir glauben zu träumen und sind komplett überwältigt von der Situation. Nach sechs Wochen Pakistan rollt TINKA nach Indien ein.

Durch die Verzögerung aufgrund der Formalitäten, zieht sich unsere Ausreise bis über die Grenzschlusszeit hinaus. Aber die Exit-Stempel sind in unseren Pässen, wir müssen raus. Tatsächlich werden wir noch aus Pakistan entlassen und schlüpfen so kurz vor der offiziellen Grenzschlusszeremonie noch nach Indien rein. Die uns begrüssenden Menschenmengen sind Besucher dieses Spektakels, das so leider erst mal ohne uns stattfindet. Wir planen aber sogleich einen späteren Besuch der eindrücklichen Closing Border Ceremony ein – die Begrüssung hat uns erahnen lassen, dass sich das wohl lohnt.

Kurz nach der Grenze weichen wir den ersten Kühen aus – ja, wir sind in Indien. Am ersten Gebührenhäuschen der Autostrasse merken wir dies gleich zum zweiten Mal. Eine Riesendiskussion, dass wir „Cargo“, also Gütertransporter seien – was deutlich mehr Gebühren kostet. Noch nicht wieder richtig in Indien eingwöhnt, geben wir nach – das letzte Mal in den Monaten in Indien.

In Amritsar, der Millionen-Grenzstadt, haben wir der Einfachheit halber, das erste Mal auf unserer ganzen Reise, ein Hotelzimmer mit entsprechendem Parkplatz vorgebucht, weil wir keine Lust haben, uns abends in einer Grossstadt auf Stellplatzsuche zu begehen. Sogar ein Schwimmbad soll das Hotel haben, die Fotos sind vielversprechend. Positiv denkend wie wir sind, vermuten wir, dass sich die Hotels in den letzten zehn Jahren wahrscheinlich auch deutlich verbessert hätten.

Nun ja – als erstes wühlen wir uns wie gewohnt durch den höllischen Feierabend-Verkehr, sehen uns aber in unserem Geiste schon mit einem kühlen Kingfischer am Pool sitzen, während sich die Kinder darin vergnügen. Nur leider finden wir das Hotel nicht. Obwohl Karin mehrfach um den gesamten Block joggt, lässt sich die angegebene Adresse einfach nicht finden. Die angesprochenen Anwohner können entweder kein Englisch oder wissen ebenfalls nichts von einem Hotel. Entnervt, durstig und hungrig, fragt Karin schliesslich in einer Bar nach. Dort erbarmt sich ein Brüderpaar unser und begibt sich mit uns auf die Suche. Nach fast einer Stunde Telefonierei und Suche mit dem Motorrad ist das Hotel schliesslich gefunden. Der eine Bruder setzt sich zum Lotsen in TINKA, derweil Karin als Sozia mit dem andern Bruder durch die Stadt vorfährt. Das Hotel findet sich inmitten der Stadt, über ein kleines Strässchen zu erreichen. Platz haben da maximal 5 Motorräder, aber ganz bestimmt nicht TINKA, welche inzwischen ununterbrochen angehupt wird. An der Reception weiss keiner was von einer Reservation und schon gar nicht von einer Bezahlung für 3 Tage. Karin lässt sich trotzdem ein Zimmer zeigen, da die ganze Familie vom langen Tag völlig k.o. ist. Nein, viel hat sich nicht verändert seit dem letzten Indienaufenthalt – hier wollen wir definitiv nicht bleiben!

Schliesslich erreichen wir in völliger Dunkelheit ein altes Guesthouse, wo man sich sofort in die Kolonialzeit zurückbefördert fühlt. Wir dürfen in dem grossen Garten, der wie ein tropisches Paradies anmutet, stehen. Hier treffen wir auch noch auf unsere Reisefreunde, Wolfgang und Brigitte und kommen schliesslich doch noch zu unserem kühlen Blonden!

In den folgenden Tagen erkunden wir Amritsar; die Stadt ist für indische Verhältnisse sehr sauber und gefällt uns gut. Sie ist das spirituelle Zentrum des Sikhismus, ihr Wahrzeichen ist der Goldene Tempel, der uns immer wieder in den Bann zieht. Es ist friedlich hier, die Menschen erleben wir als freundlich. Julian und Tabea können sich an all den farbigen Turbanen der Sikhs kaum satt sehen.

Wir möchten die Grenzzeremonie, von der wir versehentlich fast Bestandteil geworden sind, nun doch auch noch als Besucher und nicht Darsteller erleben. Aufgrund der zu erwartenden Menschenmassen und dem obligaten abendlichen Verkehrschaos entscheiden wir uns, TINKA ruhen zu lassen und stattdessen den Bus zu nehmen. 30km später erreichen wir Atari, den kleinen Ort an der Wagah-Grenze, dem einzig möglichen Grenzübergang zwischen Indien und Pakistan. Bereits im Bus ist die Stimmung aufgeladen, diverse nationalistische Devotionalien werden hervorgekramt. Mit schon fast eingefrorenem Lächeln posieren wir für Dutzende Selfies mit begeisterten Indern. Es wird uns auch auf unserer weiteren Reise in Indien nie ganz verständlich werden, weshalb wir so begehrte Selfie-Subjekte sind und was mit diesen Bildern geschieht.  Obwohl wir zeitig ankommen, sind an der Grenze bereits Hunderte von indischen Nationalisten versammelt, fliegende Verkäufer bieten rosa Zuckerwatte, zuckersirup-triefendes Gebäck, gestrickte Umhänge, Socken und kitschige Souvenirs an.

Tabea und Julian werden mit einem „I love my India“ Käppi ausgerüstet, einer orange-weiss-grünen Gesichtsbemalung können wir uns gerade noch entziehen.

An einen Viehmarkt erinnernd, werden die Besucher durch Metallgatter gelotst und erst in Reihen für Männer und Frauen und schliesslich Ausländer und Inder aufgeteilt. Für indische Verhältnisse geht es ungewohnt geordnet, wenn auch laut zu, der Geräuschepegel lässt ein normales Gespräch nicht mehr zu. Wir müssen uns bemühen, die Kinder nicht von der Hand zu verlieren; in diesem Gewühl würden wir sie wohl nie mehr finden.

Es scheint eine klare Sitzordnung zu bestehen, mit entsprechender Autorität und Trillerpfeife werden die Besucher in die jeweiligen Ränge verwiesen. Die Tribünen erinnern an ein grosses Fussballstadion, die Stimmung ebenfalls. Auf einer Grossleinwand werden heroische Darstellungen von Aktivitäten der indischen Armee gezeigt, untermalt von ohrenbetäubender Musik. Auf einen Paukenknall erscheint der „Aufheizer“, die Inder auf den nun vollen Tribünen steigen voll darauf ein. Es folgt eine faszinierende Show der Machtdarstellung, stets untermalt von Schlachtrufen und Gesängen. Obwohl schon fast lächerlich nationalistisch, hat das Ganze einen Gänsehaut-Charakter. Auf der Gegenseite, auf Pakistanischem Boden, geht offensichtlich ein ähnliches Spektakel von statten. Mit dem Einholen der beiden Flaggen ist die eindrückliche Show vorüber. Wahnsinn, und das jeden Tag! Bei den wieder sehr aktuellen Problemen zwischen Indien und Pakistan, erhält das Ganze einen speziellen Charakter.

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