Reise

Albanien – wunderschöne Natur, freundliche Menschen und Anarchie auf den Strassen

Es ist Sonntag Nachmittag, viel eher als das Navi uns die Landesgrenze und somit den Zoll angibt, treffen wir auf eine Autoschlange. Kilometerlang, wie es scheint. Aha, dies wird nun der erste etwas kompliziertere Grenzübertritt werden. Es geht überhaupt nicht vorwärts. Mit Erstaunen beobachten wir, dass immer wieder Autos mit einem Affenzahn auf der schmalen Gegenfahrbahn an der Kolonne vorbeibrausen – was umso spannender wird, wenn Gegenverkehr auftaucht. Einmal eine Sekunde nicht aufgepasst und nicht 20cm hinter den Vordermann aufgeschlossen, schon quetschen sich solche Geister-Kolonnen-Überholraser dazwischen. Dies ist unsere erste, aber nicht die letzte Begegnung mit der sehr eigenwilligen Fahrweise der Albaner.

Um die Wartezeit etwas zu verkürzen, tut es Karin all den Hunderten von Wartenden gleich und spaziert die Kolonne auf und ab. Es ergibt sich schnell das eine und andere Gespräch. Von Enea, einem jungen Albaner, der auch vom Reisen in die weite Welt träumt, der seinen Namen hasst, aber sehr stolz auf sein Land ist, bekommen wir viele Tipps, wo wir was anschauen sollen.

Julian und Tabea verschlafen den Grossteil des Grenzübertrittes respektive des Wartens darauf. Nur just in dem Moment, als wir nach Stunden an der Reihe sind, ruft das grosse Geschäft – und zwar dringend! Tja, manchmal ist Reisen mit Kleinkindern tatsächlich nicht ganz einfach. Aber wir meistern auch dies und werden zügig durchgewunken, sodass wir uns fragen, weshalb das Ganze Stunden gedauert hat.

Auf Albanien sind wir sehr gespannt, liest man in den letzten Jahren doch immer wieder über dieses Land mit seinen noch wenig touristisch erschlossenen Naturschönheiten. Auf den allerersten Blick fällt es uns eher schwer, diese zu sehen, fallen uns doch vor allem die Berge an Müll, der überall in der Natur herumliegt auf. In Bachläufen sammeln sich hunderte von PET-Flaschen und Plastiksäcken – etwas, worauf die Kinder auch im Laufe der Reise durchs Land immer wieder empört hinweisen. Die abwechslungsreiche Landschaft ist sehr schön und gefällt uns gut. Der Verkehr erfordert aber stets volle Aufmerksamkeit ganz nach dem Vier-Augen-Prinzip; je näher wir uns einer Stadt nähern, umso mehr.  Wir wähnen uns oft in einem Computerspiel der 80er Jahre; von überall her treten unerwartete Hindernisse auf. Seien es irre Überholmanöver in Kurven, auf der Fahrbahn entgegenkommende LKWs, Fahrräder, Eselskarren, Schafherden oder wilde Hunde. Dazwischen immer mal wieder ein grosses Schlagloch oder einfach mitten auf der Strasse parkierte Autos. Als Mercedes kann TINKA sich wohlfühlen – es scheint, als gäbe es in Albanien nur diese eine Automarke! Damit das beste Stück gehegt und gepflegt werden kann, findet sich gefühlt alle 50m eine „LAVAZH“, eine Autowaschanlage – auch wenn es nur ein Schlauch an einem Wasserhahn auf einem einsamen Platz ist.

Nach dem Aufenthalt am grossen und idyllischen Shkodra-See machen wir uns auf ins Landesinnere. Wir möchten Berat,  zusammen mit Girokaster ebenfalls UNESCO-Weltkulturerbe, besuchen. Die Strasse aus der Stadt führt an vielen Autowerkstätten vorbei, wir benötigen einen neuen Schlauch für die Zentralschmieranlage. Der Werkstattchef spricht perfekt Italienisch, Karin darf übersetzen, obwohl sie absolut keine Ahnung hat, wozu dieses technische Teil gut sein soll.

Wir landen schliesslich in einem Ersatzteillager, das Toralfs Augen leuchten lässt. Leider ist der gewünschte Schlauch nicht dabei. Dafür bekommen wir vom Capo noch weitere gute Tipps. So sollen wir unbedingt den Strand von San Giovanni besuchen. Nach einiger Verwirrung bekommen wir bestätigt, dass Shengjin San Giovanni ist. Klingt ja ganz ähnlich, oder?

Wir verbringen einen entspannten Nachmittag am Strand, wo die Kinder nach Herzenslust buddeln können. Die Freude wird nur kurz getrübt, als die überall präsenten Streunerhunde das Mittagessen von Julian klauen und er mit leeren Händen da steht.

Die Fahrt durchs Landesinnere führt uns häufig durch Dörfer, wo die Zeit stehen geblieben scheint. Überall sind die Menschen sehr freundlich, winken uns zu. Tabeas blonde Haare verleiten viele, ihr über den Kopf zu streichen. Die Unterhaltungen finden mit Händen und Füssen statt, irgendwie versteht man sich. Zur Not wird nach Ziegenkäse mit „Mäh“ und nach Kuhmilch mit „Muh“ gefragt.

Berat ist eine hübsche, kleine Stadt, mit bestens erhaltenen, historischen weissen Häuser, ein Labyrinth von gepflasterten Gässlein und ein friedliches Nebeneinander von Kirchen und Moscheen. Auf den Strassen der Neustadt herrscht emsiges Treiben, wir nutzen die Gelegenheit, frische Lokalprodukte einzukaufen und einen Kaffee auf der Flaniermeile zu trinken.

Abends steuern wir den geplanten Stellplatz in der Stadt an, der sich als nicht mehr existent herausstellt. Nach längerem mühsamem Herumkurven fragen wir schliesslich herumstehende, mit ihren Maschinenpistolen wichtig ausschauende Wachleute einer Sicherheitsfirma nach einem Übernachtungsplatz. Wie so häufig wird das Handy gezückt und irgendein Bekannter, der ein paar Brocken Englisch oder Italienisch spricht, wird angerufen. So wird uns versichert, wir dürften TINKA direkt vor der Tür des Sicherheitsdienstes parken, übernachten und sogar die Toilette nutzen. Am nächsten Morgen werden wir herzlich verabschiedet.

Wir entscheiden uns, weiter durch das Landesinnere zu reisen, da die touristisch geprägten Küstenorte momentan noch komplett leer sind und so ein eher tristes Bild abgeben, obwohl Julian und Tabea jeden Tag stundenlang im Sand buddeln könnten – „Platz am Strand suchen, Papa“ ist zum geflügelten Satz geworden.

Wir reisen langsam über die kleinen Strassen und sind froh, dem irren Strassenverkehr zu entkommen, auch wenn  nach wie vor auf der eigenen Fahrbahn entgegenkommende Gefährte jeglicher Art zum Alltag gehören. An den von vielen praktizierten Fahrstil könnten wir uns wohl nie gewöhnen – die unzähligen mit Plastikblumen in schrillen Farben geschmückten Gedenktafeln junger Männer entlang der Strassen geben ein trauriges Zeugnis dessen.

Je weiter wir ins Landesinnere vordringen, desto schlechter und enger werden die Strassen, irgendwann sind auch die anstrengend tiefhängenden Leitungen nicht mehr vorhanden. Nach einer ausgedehnten Mittagsrast, wo wir lokalen Ziegenkäse und Maisbrot geniessen, beginnt es wieder zu regnen. Und zwar so, dass sich die unbefestigten Strassen zu Matschpisten verwandeln. TINKA schnurrt weiter, immer höher der Serpentinen entlang ins Gebirge, Julian kommentiert es treffend mit „geits da z’Loch abe, fescht“. Aus dem CD-Player hält uns der Roadmix von Karin’s ehemaligen Arbeitskollegen bei Laune. Schäfer bestätigen uns, dass wir noch auf dem richtigen Weg sind. Irgendwann wird die Strasse so unwegsam, dass wir vor der Weiterfahrt zuerst Steinblöcke zur Seite rollen müssen – natürlich noch in Turnschuhen und ohne Regenjacke. Es wird uns langsam zu kritisch, und wir entscheiden uns, bis zur letzten Verzweigung zurückzurollen. Dieser Entscheid zeigt sich als richtig, zumindest ist diese Strasse deutlich weniger ausgesetzt, wenn auch viel schmaler und mit riesigen Schlaglöchern. Wir sind froh, als wir wieder auf kleinere Dörfer treffen.

Gerne hätten wir nach der heutigen Schlammschlacht eine warme Dusche genossen, doch wieder finden wir am Prespa-See keinen offenen Campingplatz und steuern so wenigstens ein Restaurant an, um noch etwas Landeswährung auszugeben. Die Lebenshaltungskosten hier waren so günstig, dass wir bisher nicht die Hälfte der umgetauschten 80.- ausgegeben haben.

also diesen Patienten hätten wir bei der Bildqualität glatt nochmals ins Röntgen geschickt!

Am nächsten Tag rollen wir auf die Albanisch-Griechische Grenze zu und freuen uns, dass die Schlange hier deutlich kleiner ist als bei der Einreise. Zu früh gefreut! Höflich, aber bestimmt bekommen wir ein Formular in die Hand gedrückt, das offensichtlich die Verordnung zu einer Röntgenuntersuchung für TINKA ist. Frau und Kinder werden mit den Worten „you wait here“ in ein kahles Zimmer mit einem Schreibtisch und einem verschlissenen Sofa geführt, das als einzige Attraktion für die Kinder eine vertrocknete Zimmerpflanze und aufs Fensterbrett geklebte Kaugummis bietet. Toralf darf TINKA zur Untersuchung begleiten. Nach 1,5 Stunden Warten und ohne zu wissen, ob Toralf in Schwierigkeiten ist, versucht Karin mit Kindern den langweiligen Aufenthaltsort zu verlassen und wird postwendend und ohne weitere Informationen wieder zurückgeschickt. Nach über 2 Stunden Warterei darf TINKA nun endlich ein paar Meter weiterrollen, um dann von einem beleibten Grenzbeamten, der trotz Leiter seine Mühe hat, ins Fahrzeug zu kommen, von Innen begutachtet zu werden. Plötzlich ist der Spuk vorbei und wir werden mit „go, go“ verabschiedet. Was diese Aktion beim Verlassen des Landes sollte, wird wohl ein ungelöstes Rätsel bleiben!

4 comments

  1. Hallo ihr Weltenbummler!
    Wir haben soeben den Bericht aus Albanien, mit einem kleinen Schmunzeln und etwas Fernweh gelesen!
    Wir wünschen euch 4-en weiterhin gute Fahrt und viele schöne Erlebnisse.

    Martin und Regi

    1. Liebe Regi und Martin,
      Schön, von Euch zu hören! Wir haben den spontanen Abend mit Euch so genossen – es war einfach schön. All die Geschenkli sind mit dabei, sind aber im Moment noch vor neugierigen Kinderhänden und -augen versteckt.
      Wir senden Euch ganz liebe Grüsse mitten aus Anatolien,
      KTTJ

    2. Liebes Tinka Team,
      Wir sind weit vom Osten her nach Albanien gekommen und fanden den Fahrstil der Autofahrer recht gut. Es gibt also noch mehr Abenteuer, aber man gewöhnt sich daran. Aufpassen, auf alles vorbereitet sein und die innere Ruhe bewahren (was nicht immer einfach ist).
      LG und gute Reise
      Tobias und Monika

      1. Liebe Monika und Tobias
        wie alles wohl auch eine Frage der Perspektive oder des Vergleichs. Wir empfanden den Verkehr in Albanien meist extrem stressig und nun in der Türkei und auch in Griechenland sehr relaxed. Mal schauen was noch kommt! In China haben wir ja dann den Direktvergleich 🙂
        Liebe Grüsse aus Kappadokien,
        KTTJ

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