Reise

Turkmenistan – Absurdistan in Reinkultur

„…only the insane or the deeply unfortunate find themselves in Ashgabat in July and August when temperature can push 50° Degree…“ Lonely Planet, Central Asia.

Nachdem sich das iranische Grenztor hinter uns geschlossen hat, rollen wir im Niemandsland auf die Grenze von Turkmenistan zu. Als erstes fällt uns ein junger Grenzbeamter auf, der mit grosser Geduld durch den Asphalt durchgebrochene Grasbüschel mit einer PET-Flasche einzeln begiesst, als wären es die schönsten Vorgartenblumen. Noch bevor wir den Motor ausgemacht haben, springen uns zwei Grenzbeamte in der Aufmachung einer Mischung von Nationalpark-Ranger, Soldat und Indiana Jones in den Weg und brüllen uns etwas entgegen, das so gar nicht wie ein Willkommensgruss klingt. Der Zollmarathon beginnt, die Aufforderungen werden stets im Kasernenton mitgeteilt. Einmal mehr werden Fahrer und Familie getrennt – normalerweise mussten Karin und Kinder im Auto bleiben, derweil Toralf den Papiermarathon für TINKA erledigt. Falsch gepokert; energisch werden Karin und die Twins aus dem Auto gescheucht. Natürlich bleiben so all die Zeitvertreiber und Proviant im Auto, was zur Folge hat, dass wir uns die nächsten 4 Stunden mit einer gefundenen Schnur und einer Handvoll Kieselsteinen in der Marmorwartehalle die Zeit vertreiben – Grimms Märchen werden ausgeschmückt, Fingerspiele reaktiviert. Irgendwann, nach gut vier Stunden haben wir unsere Fingerabdrücke abgegeben, Fotos von uns knipsen lassen, TINKA durchsuchen lassen, unzählige Taxen bezahlt, den obligatorischen GPS-Tracker installiert und den gefühlt fünfzigsten knapp volljährigen Grenzposten passiert.

Da sind wir nun – in Turkmenistan. In dem Land, auf das wir uns am wenigsten vorbereiten konnten, da es so wenig vorzubereiten gibt. Die Landschaft ist – wie noch auf iranischer Seite – nach wie vor sehr schön, hügelig und karg – Wüstengebiet halt. Mit dem Unterschied, dass alle 20m eine Kamera installiert ist und einem von jedem Hügel an der Strasse zusätzlich noch Kameras entgegenblinken. Fotografieren streng verboten. Wir rollen Ashgabat entgegen, der Hauptstadt Turkmenistans. Und schon bald tut sich unten in der Weite etwas Weisses auf, das sich von der kargen Wüstenlandschaft abhebt. Dass wir uns der Stadt nähern, merken wir, sobald wir unter einem weissen Bogen durchfahren – nun sind wir in „White Dreamland Ashgarbat“ angekommen. Wie aus dem Nichts tauchen 4 spurige Strassen auf, gesäumt mit aufwendig gearbeiteten, chromglänzenden Leitplanken und Ampelanlagen. Gleichzeitig wechselt die Landschaft von dürrem Wüstenbraun in saftiges Grün. Es grünt und blüht überall um die Wette, Prachtsalleen mit hohen Gebäuden mit Marmorfassaden säumen die Strasse. Julian und Tabea erfreuen sich am gigantischen – selbstverständlich weissen – Pferdekopf am Hippodrom. Anekdotisch ist zu erfahren, dass sämtliche Filmkameras und Fotoapparate eingesammelt wurden, als der Präsident dereinst von seinem Pferd stürzte.

Turkmenbashi, „Führer der Turkmenen“, so hat sich der ehemalige  Staats- und Regierungschef Nyjazov selbst genannt. Er führte den Staat bis zu seinem Tod 2006 mit Hilfe des Militärs und des Geheimdienstes rigoros und etablierte dabei einen allgegenwärtigen, grotesken Personenkult. Monats- und Wochentagsnamen wurden durch ihn um- und nach sich und seiner Mutter benannt, sein Buch «Ruhmana», ein Ideologie-Religionsschrift-Propaganda-Mix, wurde zur Pflichtlektüre aller ernannt. Kein Führerschein, keine Arztapprobation, ohne Ruhmana zu kennen. Theater und Oper wurden verboten, Männern der Bart und jungen Leuten Goldzähne untersagt. Seiner selbst zu Ehren wurden – nach unentschädigter Vertreibung der dort Ansässigen – monumentale Bauten mit Baustoffen aus Europa errichtet, riesige Statuen von ihm und seinen Eltern aufgestellt, nach seiner Herz-OP wurde ein allgemeingültiges Rauchverbot im ganzen Land ausgesprochen. 1999 ernannte er sich selbst zum Präsidenten auf Lebenszeit. 2006, nach dem Tod Nyjazovs übernahm der stellvertretende Ministerpräsident und Turkmenbashis Leibzahnarzt Berdimuhamedow die Führung. Auch seine Vorlieben treiben seltsame Blüten: bei der unübersehbaren Vorliebe für die Farbe Weiss besteht seit 2015 ein Importverbot für schwarze Fahrzeuge, seit 2018 sind sie auf den Strassen Turkmenistans verboten. Turkmenistan nimmt 2019 noch vor Nordkorea den 190. und damit letzten Platz bei „Reporter ohne Grenzen“ ein.

So ist es bis heute nicht möglich, das Land ohne Führer zu bereisen, mit Glück erhält man ein Transitvisum für maximal 5 Tage mit genau vorgeschriebener Reiseroute, die mittels GPS-Tracker kontrolliert wird.Lustigerweise darf man für diesen Tracker auch noch eine Miete bezahlen. Oft genug wird das Visum auch ohne Grund abgelehnt – wir hatten Glück, dass alle Familienmitglieder zugelassen wurden und haben, nachdem wir es nach 6 Wochen und mehreren frustranen Kontaktversuchen mit der Botschaft endlich erhalten haben, nicht mehr interveniert, als Tabea als „männlicher Teilnehmer“ aufgeführt wurde.

In Ashgabat stellt sich ein komplett neues Fahrgefühl ein, auf den perfekten Strassen herrscht kaum Verkehr. Auch sonst wirkt die Stadt wie ausgestorben. Die saftig-grünen Rasen wirken wie mit der Nagelschere bestellt, die Bepflanzungen wie aus englischen Gartenmagazinen. Die einzigen Menschen, die in den üppig blühenden Parks und an den Strassenrändern zu sehen sind, sind Gruppen vermummter Arbeiter, die die Unterhaltspflege bewerkstelligen. Stets dabei ein Aufseher mit Stock und Funkgerät – ohne näheres zu wissen vermittelt das Bild den Eindruck einer Strafkolonie. Aber auch sonst ist das Strassenbild geprägt von Aufsehern, deren einzige Aufgabe darin zu bestehen scheint, mögliche Parkbesucher zu verscheuchen. In der heissen, trockenen Wüstenstadt plätschert überall Wasser, riesige Brunnen werden vom künstlichen Wasserfällen abgelöst – das kühle Nass ist in dieser glühend heissen Wüstenstadt überall im Überfluss vorhanden. 600 Kilometer weit soll dieses Wasser aus dem Fluss Amudarja durch die Wüste geführt werden – und die Klimakatastrophe durch die Austrocknung des Aralsees nimmt weiter ihren Lauf.

Als Touristen ist es uns möglich, die Parks zu besuchen, wir werden aber auch hier auf Schritt und Tritt beobachtet und ermahnt, keine Fotos zu machen, gelegentlich auch verscheucht. Die Stimmung ist gespenstisch-skurril. Wir sehen aber den Vorteil, dass wir die Kinder nun wieder rumrennen lassen können, absolut gesitteten Verkehr und überall Platz für TINKA haben. Auf dem Parkplatz am Park, wo wir nächtigen, zählen wir 7 Überwachungskameras – so sicher haben wir selten geschlafen! Ausserdem kann Karin endlich wieder das ungeliebte Tuch abnehmen und T-Shirts tragen – was sich die ersten drei Tage seltsam verboten und nackt anfühlt.

Nach Verlassen von Ashgabat folgt eine lange, recht langweilige Fahrt, einmal quer durch die Karakum-Wüste. Kaum haben wir die Hauptstadt hinter uns, werden die Strassen deutlich schlechter, „das singenden und springende Känguruh “ läuft aufgrund der Kratzer auf der CD in der Endlosschleifen, die wenigen Siedlungen verschwinden bald ganz.

Im Herzen der Karakum-Wüste steuern wir den Darwaza-Gaskrater an, einer der drei grossen, ursprünglich in post-sowjetischer Zeit durch Menschenhand geschaffenen Krater auf der Suche nach Gas. Einer der Krater wurde entzündet und brennt seither in einem Fort. Obwohl es sich dabei eigentlich nur um ein 160m durchmessendes, brennendes Loch handelt, ist dieser Höllenschlund doch faszinierend. Wir stellen uns auf eine Anhöhe und beobachten das Spektakel, während es dunkel wird. Nachtessen im Feuerschein des Darwaza-Kraters, Vögel und Nachtfalter spielen ihr gefährliches Spiel; bei uns stellt sich völlige Zufriedenheit und Ruhe ein – was für ein Glück wir doch haben, dies erleben zu dürfen!

Die restlichen 300 Kilometer bis zur Grenze sind obermühsam. Die Strasse der Hauptverbindungsachse wird dem Namen Strasse in keinster Weise gerecht, es handelt sich um eine teils asphaltierte Holperpiste mit Riesenlöchern und Spurrillen, die 30cm tief sind. Mit maximal 20kmh ruckelt TINKA so ihres Weges. Wir passieren turkmenische Familien mit kotzenden Kindern, was bei dem Untergrund nicht verwunderlich ist. Umso schizophrener wirkt die Pracht und die sinnlosen mehrspurigen Autostrassen in der Hauptstadt. Und hier wird kaum ein Manat locker gemacht, um auch nur eine eingermassen akzeptable Verbindung zu schaffen!

Nach der Wüste passieren wir diverse Kolchosen respektive deren postsovjetischen Überbleibsel. Wohin das Auge blickt – überall wird Baumwolle angepflanzt. Auch diese will gewässert werden. In zum Teil altertümlichster Manier  wird so das Wasser herbeigeführt – der Planwirtschaft sei dank – ein weiterer Faktor für den bedenklichen Rückgang des Aralsees und dessen desaströsen Folgen.

Sozusagen als Abschlussschmankerl besichtigen wir Konye Urgench, welches um das 10. Jh ein wichtiges Handelszentrum, aber auch Zentrum des Islams wurde. Kaum vorstellbar, dass dieses unscheinbare Fleckchen mit seinen zwar eindrücklichen Bauten einst eine so grosse und blühende Kulturstadt war.

Auf dem Bazar tauschen wir unser letztes turkmenisches Geld in Lebensmittel und Wasser, was uns kaum gelingt, da unsere fünf Säcke Früchte und Gemüse gerade mal gut zwei Franken kosten. Somit stocken wir unsere Vorräte an Dörraprikosen und Nüssen auf.

Zwanzig Minuten vor offiziellem Grenzschluss rollen wir auf die Grenze zu. Hier sind die Beamten deutlich freundlicher als bei der Ankunft, vor allem aber wollen sie Feierabend machen, sodass wir in Rekordzeit von 30 Minuten Turkmenistan hinter uns lassen und Richtung Usbekistan weiterrollen.

2 comments

  1. merci für die tollen geschichten/erlebnisse und die farbenfrohen fotos. ich bin froh habt ihr es gut dort, geniesst die zeit weiterhin, liebs grüessli elodie & bryan

    1. Liebe Elodie, lieber Bryan
      wir freuen uns, seid ihr so treue Begleiter und senden euch ganz liebe Grüsse. Wir werden heute von Usbekistan nach Tadjikistan wechseln.
      Seid herzlich gegrüsst,
      Karin & Family

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