1. Die Welt ist ein grosser Spielplatz

Aufgrund der beschränkten Platzverhältnisse haben wir im Vergleich zu Daheim nur wenig Spielsachen dabei: lediglich eine kleine Box Lego, Papier und Stifte, 3 Kinderspiele, ein Säckchen Minitiere und ganz viele Pixie-Büchlein sowie ihre Kinderbibel. Dies hat sich als mehr als ausreichend erwiesen. Kaum ist die Autotür offen, wird die Umgebung erkundet. Die Phantasie ist dabei grenzenlos. Stöckchen, Blumen, Sand, Steine, Knochen, Wasser – wir sind oft fasziniert vom Ideenreichtum der Kinder. Langeweile kennen sie nicht. Als praktisch – aber sicher nicht unverzichtbar – haben sich die Räder der Kinder erwiesen. Oft haben sie nach einer längeren Fahrt einen ungeheuren Bewegungsdrang, den sie so ausleben und wir Eltern uns erstmals etwas ausruhen können. Ausserdem kommen wir in den Städten deutlich schneller voran und es macht allen Spass.

2. Ressourcen sind endlich

Bereits in ihrem jungen Alter und nach kurzer Zeit lernen Julian und Tabea, dass Wasser und Lebensmittel kostbar und oft beschränkt sind. So kommt es häufig vor, dass wir über Tage keine oder nur sehr beschränkte Einkaufsmöglichkeiten haben, sodass wir mit unseren Lebensmitteln äusserst bedacht umgehen müssen. Während wir zuhause einen durchschnittlichen Tagesverbrauch von 200-300 Liter Wasser haben, stehen uns auf der Reise im Schnitt 100 Liter Wasser pro Woche inklusive Trinkwasser und Duschen zur Verfügung.

Die Kinder lernen auch, zu ihren Dingen Sorge zu tragen –  Kleine Geschenke werden wie Schätze gehütet. Wie häufig wird zuhause Verlorenes oder Kaputtes einfach durch die Masse an anderem Spielzeug kompensiert?

Wasser – ein kostbares Gut!

3. Die Welt ist der beste Lehrer – Lernen mit allen Sinnen

Wir staunen täglich, wieviel die Kinder aufnehmen und mitnehmen.

Die häufig wechselnde Umgebung mit vielen neuen Eindrücken ist eine starke Stimulation.  Sie erkennen die in den Bergen Kroatiens gefundenen Wildkräuter Rosmarin, Thymian und Salbei auf dem Markt in Tabriz wieder. Julian entwickelt ein ausgesprochen gutes Orientierungsvermögen – bereits besser als das von Mama – und erinnert sich auch in chaotischen Bazaren oder Städten oft an zurückgelegte Wege. Er begeistert sich für Landkarten und das Navigationsgerät und sitzt oft ernsthaft vor dem Reiseführer, fährt mit dem Finger Landkarten ab, den weiteren Weg „planend“.

Zu unserem Erstaunen ist ihnen der Unterschied zwischen Mann und Frau in der islamischen Kultur bewusst geworden. Es ist eine Freude, wie spielerisch und hemmungslos sie in Kontakt mit Kultur jeglicher Art  kommen. In ihrer kindlichen Neugier bemerken sie, dass die römischen Säulen soviel einfacher gestaltet sind als die griechischen, es in der persischen Schrift Schrift kein „Tabea-T“ gibt, sie wundern sich, wieso es in all den Moscheen keine roten Kacheln gibt.

Sie lernen mit allen Sinnen, ganz nach Benjamin Franklins: „Tell me and I forget, teach me and I may remember, involve me and I learn.

4. Begegnung mit der Natur

Auch wenn wir zuhause täglich draussen sind, ist die auf der Reise dauernd wechselnde Kulisse für die Kinder äusserst spannend. Sie nehmen dies mit offener Neugierde auf und verknüpfen es mit bisher Erlebtem. Die Wüste mit ihrem vielen Sand und der Salzsee, auf dem man gehen konnte, bleiben in reger Erinnerung. Der Feuerkrater, gespiesen durch Gas, begeistert sie. All die verschiedenen Tiere, die wir zuhause bestenfalls im Zoo antreffen, bleiben im Gedächtnis haften. Oft thematisieren sie Eindrücke und Erlebtes auch noch Wochen später – mit erstaunlicher Erinnerung an Details.

5. Begegnungen mit dem Leben und dem Tod

Auf unserer Reise haben wir viele Friedhöfe, Mausoleen und Schreine gesehen. Auf dem Markt und unterwegs sind wir auf Schlachtungen getroffen, oft sehen wir verendete Tiere am Strassenrand, diese werden mit offener Neugierde betrachtet und Gedanken und Fragen über den Tod formuliert. Sie lernen so von vornherein einen natürlichen Umgang mit dem Leben, aber auch mit dem Tod. Für sie ist es inzwischen selbstverständlich, dass Fleisch von geschlachteten Tieren kommt und auch dass der Tod zum Leben mit dazu gehört.

6. Reisen fördert die Anpassungsfähigkeit und übt in Geduld

Egal, ob am rauschenden Gebirgsbach oder in einem lauten Guesthouse in der pulsierenden Grossstadt, im Auto, Hotel oder Zelt – Julian und Tabea schlafen überall rasch und gut ein und durch. Eine gewisse Routine und Struktur ist natürlich auch beim Reisen vorhanden, die Flexibilität wird aber geübt, da das Reisen oft spontane Entscheide und Änderungen erfordert. Dadurch, dass sich täglich diverse Situationen ergeben, in denen gewartet werden muss, lernen die Kinder täglich, die Geduldsspanne etwas zu verlängern.

warten, warten, warten…

7. Reisen ist gut für das soziale Verhalten

Zuhause sind die Kinder allermeist in ihrem gewohnten sozialen Umfeld, das sich nur wenig ändert. Auf Reisen treffen wir naturgemäss auf Menschen mit anderem kulturellen Hintergrund, verschiedener Hautfarbe, Sprache und Alter. Es ist faszinierend zu sehen, wie schnell und unkompliziert Kontakte mit andern Kindern trotz vollkommen fehlender sprachlicher Kommunikation zustande kommen.

Auch für die Bindung als Geschwister scheint uns das Reisen eine gute Schule zu sein – sehr oft hilft der eine dem anderen, sie entdecken gemeinsam die neue Welt. Selbstverständlich kommt es auch immer wieder zu Geschwisterrivalitäten und Streit.

8. Abstinenz von der digitalen Welt

Bis zu unserer Abreise kamen die Kinder bei uns zuhause kaum in Kontakt mit den digitalen Medien, da sie weder Zugang zu einem Tablet, wir noch einen Fernseher haben. Dennoch haben wir Erwachsenen uns immer wieder an der Nase nehmen müssen, um das Handy am Nachtessentisch zu verbannen und nicht dauernd auf Mails, SMS und anderes zu antworten. Es tut gut, oft tagelang keinen Zugang zum Internet zu haben.

9. Ausdrucksfähigkeit

Dadurch, dass wir stets um die Kinder sind und ihnen all die neue Dinge erklären können, nehmen sie viel Neues auf. Ihr Wortschatz hat sich bereits innert weniger Wochen deutlich vergrössert und weist nun auch viele nicht ganz alltägliche Vokablen auf, die sie auf der Fahrt während all den Gesprächen oft auch anwenden. Sie lernen den Minimal-Grundwortschatz des jeweiligen Landes mindestens genauso schnell wie wir Erwachsene und freuen sich wie Könige, wenn sie Einheimische mit einem „Salaam“ oder „Mersi“ überraschen können. Sie protestieren, wenn der Airam  im Iran nun plötzlich Doogh heisst und lachen sich schief, wenn sich Jurte auf Torte reimt. Wir staunen oft, wie selbstverständlich sie über administrative Angelegenheiten plaudern oder zum Beispiel die Pässe aufschlagen und Visa heraussuchen.

10. Kinder als Brückenbauer und Taktgeber

Nebst der Nähe und all den vielen Alltagsfreuden über die rasante Entwicklung, die wir durch das ständige Zusammensein 1:1 mitbekommen dürfen, haben wir die Erfahrung gemacht, dass Kinder praktisch überall Türöffner und Brückenbauer sind. Beim Anblick der Zwillinge verwandelt sich manch grimmiger Grenzbeamter zum herzlichen Menschen in Uniform, der von den eigenen Kindern erzählt, bereits ausgesprochene Bussen wurden beim Auftreten der Kinder zurückgezogen, im Iran war unsere Tochter stets der Garant für Diesel. Durch die Kinder haben wir oft unser Tempo gedrosselt, haben einfach mal einen Tag am Bergbach verbracht statt eine anstrengende Trekkingtour durchgezogen – und haben am Abend gemerkt, wie uns das Verweilen gut getan hat.