Vor dieser und unserer letzten langen Reise durch Marokko wurden wir häufig auf die Tatsache angesprochen, dass wir mit – damals zwei Babies – jetzt Kleinkindern reisen. Die unten aufgeführten Aussagen und Fragen wurden so oft an uns herangetragen, dass wir im Folgenden unsere Gedanken, die keinerlei Anspruch auf Objektivität oder Allgemeingültigkeit erheben, dazu äussern.

1. „Ihr seid verrückt, so eine Reise mit Kindern zu unternehmen!“

Mag sein, dass wir vielleicht nicht dem Durchschnittsschweizer /-deutschen entsprechen und in manchen Dingen etwas verrückt(er) sind – aber so waren wir schon immer, so sind wir auch jetzt; daran haben auch die Kinder wenig geändert.

2. „Ist es nicht verantwortungslos und gefährlich, mit Kindern eine solche Reise zu tun?“

Wir meinen nein. Durch unser beider Reiseerfahrung glauben wir, recht gut einschätzen zu können, welche objektiven Gefahren tatsächlich lauern und können diesen aktiv vorbeugen oder gewappnet sein. So ist es für uns selbstverständlich, all die Impfungen gewissenhaft durchgeführt zu haben und auch für den Notfall gerüstet zu sein. Die Reiseapotheke ist tatsächlich grösser geworden, seit die Kinder mit von der Partie sind. Am meisten Respekt haben wir vor einem Verkehrsunfall, als Fussgänger in den Grossstädten oder aber im Auto selber, wobei wir durch die Masse von TINKA gut geschützt sind. Auch die Höhen bis über 5000m sind uns bewusst – langsame Akklimatisation heisst das Zauberwort – oder aber Umkehr, wobei unsere Erfahrung die Studien bestätigt, die Kindern eine deutlich bessere Anpassung nachsagen. Wo wir in den ersten Stunden auf über 4000 Metern ganz ordentlich bei jeder Anstrengung schnaufen, sind die Kinder so ungebremst aktiv wie immer.

Viele Ängste sind irrational und gekoppelt mit der Unsicherheit vor Neuem. Wir haben uns in der Türkei oder im Iran beim freien Übernachten deutlich sicherer gefühlt als z.B. in Marseille oder auf Autobahnraststätten in Spanien. Das Bauchgefühl ist uns eminent wichtig – fühlt sich einer von uns nicht wohl, wird dem entsprochen. Wir informieren uns selbstverständlich regelmässig über die aktuellen politischen Gegebenheiten und reagieren entsprechend. So haben wir uns aktuell zum Beispiel bewusst gegen den geplanten Aufenthalt im indischen Kashmir entschieden und entdecken dafür Pakistan näher.

3. „Ihr reist durch so viele muslimische Länder – habt ihr keine Angst davor?“

In unseren Medien sind – aller Pressefreiheit zum Trotz – die Nachrichten deutlich selektioniert; wie oft werden Muslime unreflektiert in einen Topf geworfen mit geistesverwirrten Extremisten, die im Namen Allahs morden? Ohne den Weichzeichner hervorzunehmen oder alles plüsch-rosarot zu sehen: ja, wir sind uns der möglichen Gefahren bewusst und vermeiden entsprechende Gefahrengebiete nach bestem Wissen. Wir lassen uns aber auch nicht dazu verleiten, alle diese Menschen über einen Kamm zu scheren. Ausserdem haben wir dermassen viele äusserst bereichernde Begegnungen gemacht – ungeachtet irgendwelcher Religionszugehörigkeiten – und erleben immer wieder, dass die Grundbedürfnisse von uns Menschen schlussendlich dieselben sind, egal, wo unser Zuhause ist. Eine aber wohl typisch muslimische Eigenschaft haben wir sehr genossen: eine unvergleichliche und selbstlose Gastfreundschaft, die uns immer wieder von neuem tief berührt hat.

4. „Ist es nicht anstrengend, mit Kindern zu reisen?“

Doch! Das ist es auf jeden Fall. Wo wir uns früher nach einer anstrengenden Fahrt erstmals in ein Kaffee gesetzt und die Umgebung bei einem Tee oder einer kalten Cola auf uns haben einwirken lassen, ist heute praktisch sofort nach der Ankunft Aktivität gefragt, da die Kinder während der Fahrt häufig schlafen und danach fit für neue Abenteuer sind.

Auch ist das Selberfahren /-beifahren deutlich anstrengender als das Reisen in öffentlichen Verkehrsmitteln, aber es bietet uns doch den Vorteil, unser Zuhause auf Zeit mit dabei und so noch mehr Flexibilität zu haben.

Innert einer Woche wurden beide Kinder trocken, oft muss da schnell ein WC her; bei der Passfahrt, auf der Autobahn, mitten in der Moschee, beim Zollübertritt. Da könnten die Umstände tatsächlich einfacher sein. Aber wer kann schon von sich behaupten, mit Aussicht auf den Registan in Samarkand oder am Panj-Fluss mit Sicht auf Afghanistan auf dem Töpfchen gesessen zu haben?!

Abends sind wir oft so müde, dass wir unmittelbar nach den Kindern einschlafen, statt wie früher noch lange bei einem Glas Wein zu diskutieren, Karten zu spielen oder ganze Bibliotheken durchzulesen.

Reisen an sich ist anstrengend – war es schon immer. Mit Kindern tatsächlich noch ein bisschen mehr. Aber ist nicht alles anstrengender mit Kindern – auch zuhause?

Und nun sind sie trocken…ade Windeln

5. „Die Kinder haben nichts von der Reise – sie müssen den Egotrip der Eltern mitmachen“

Das sehen wir nicht so. Je länger je weniger. Zu Beginn der Reise haben wir uns schon gefragt, ob wir den Kindern mit der geplanten Strecke nicht zuviel Fahrt zumuten. Deswegen haben wir uns stets die Option Umkehren, Abbrechen oder Alternativen offen gelassen. Julian und Tabea geniessen – wie wir Erwachsenen – das Reisen genauso wie das Verweilen. Nach mehreren Tagen an einem Ort kommt öfters „wyterfahre!“, nach langen Tagen im Auto wird auch schon mal „schöns Plätzli sueche!“ geäussert. Sind die Kinder aber aufgrund der Umgebung – meist in grossen Städten oder auf Aemtern –  quengelig, müssen wir uns ab und zu daran erinnern, dass wir das so wollten und nicht sie.

6. „Kinder brauchen Routine, Ruhe und Rituale – Ihr reisst die Kinder aus ihrem gewohnten Umfeld“

Ja, das sehen wir auch so. TINKA ist ihr Zuhause, hier fühlen sie sich wohl und sicher. Aber sie geniessen auch die Abwechslung und finden es toll, mal draussen im Zelt, in der Jurte oder unter freiem Himmel zu schlafen.

In Isfahan haben wir gemerkt, dass es genug Grossstadt ist – den Kindern hat das freie Herumrennen, das sich Bewegen in der Natur gefehlt. Sie sind nörgelig geworden und haben oft gestritten. Inzwischen können sie ihre Bedürfnisse auch schon sehr gut äussern.

Im Alter von 3 Jahren sind hauptsächlich wir Eltern und das Geschwister die Bezugspersonen. Von den Grosseltern und den Gotti/Götti sprechen die Kinder oft. Im Zeitalter der modernen Technik ist ein regelmässiger Kontakt über Facetime möglich, und das tut beiden Seiten gut.

Im Alltag spielen Julian und Tabea sehr oft intensiv zusammen, schliessen sich aber auch stets problemlos den Kindern vor Ort an. Vor allem Tabea wird immer sofort in Mädchengruppen integriert.

Brownies backen auf 4200 m

7. „Kinder schränken beim Reisen so sehr ein, dass man es nicht mehr geniessen kann.“

Mit den Kindern müssen die Prioritäten oft neu geordnet werden. Ehemals streng getaktete Tourenplanungen weichen rollender Planung, statt Steigeisen und Pickel sind Pixiebücher und Stofftiere im Gepäck. Gewisse Aktivitäten müssen sinnvollerweise auf später verschoben werden, viele Abenteuer sind mit Kindern nach wie vor möglich – manchmal einfach anders.  Statt dem morgendlichen Gipfelaufstieg um sechs in der Früh mit dem singenden Sohn Muscheln am einsamen Strand suchen, die Berghütte als Ziel statt als Ausgangspunkt einer Tour, Pedalofahren oder Ruderboot statt Canonying oder Raften, Wandern statt Klettern. Nicht die geleisteten Höhenmeter oder der Schwierigkeitsgrad einer Tour sind ausschlaggebend für die Befriedigung, sondern das gemeinsam erlebte Abenteuer. Aber seien wir ehrlich: zeitenweise werden wir schon ganz wehmütig, wenn die Berge locken.

Wir hatten uns darauf eingestellt, deutlich weniger kulturelle Besichtigungen zu machen als zu kinderlosen Zeiten. Dem ist aber nicht so, die Kinder begeistern sich nach wie vor für Museen, Ruinen, Mausoleen, Moscheen und andere alte Gemäuer. // je nahdem / vielleicht etwas kürzer als früher /// Nach ein paar Tagen Stadt kommt bei Ihnen bald der Wunsch nach See oder Bergen auf – da rennen sie bei uns aber offene Türen ein – uns geht es ja genauso.

Auch wenn sich die Art zu Reisen mit den Kindern etwas geändert hat: durch das Zurücklassen des Alltags fokussiert es auf das Wesentliche; das Augenmerk wird auf die Familie als Ganzes gelegt – wir haben Zeit zu spüren, was uns wirklich wichtig ist. Wir können den einzelnen Augenblick zusammen ganz bewusst geniessen.

Dringender Pipi-Halt auf der Kreuzung

8. „Ihr seid mutig, mit den Kindern in der Art zu reisen!“

Braucht es Mut, mit Kindern zu reisen? Braucht es Mut, überhaupt zu reisen? Wir würden uns nicht als besonders mutig bezeichnen. Wir sind aber seit je her offen, neues zu erleben.

Das, was uns als Paar – bereits zu kinderloser Zeit – verbunden hat, war die Freude, Abenteuer in der Natur gemeinsam zu erleben, die Neugier, unbekannte Länder, Menschen und deren Lebensweisen kennenzulernen. All die gemeinsamen Reisen und Touren, viele Auf- und Abstiege haben unserer Leben enorm bereichert und unsere Beziehung zu dem gemacht, was sie heute ist. Die beste Art Vorurteile abzubauen, ist Reisen – wieso sollten wir dies unseren Kindern vorenthalten?

Mut ist die Kraft, die Träume Wirklichkeit werden lässt – Stillpause im Atlas / Marokko November 2016

9. „Die Kinder können sich in dem Alter sowieso nicht an die Reise erinnern!“

Vor unserer ersten längeren Reise mit den damals vier Monate alten Kindern acht Wochen quer durch Marokko, wurden wir häufig darauf angesprochen, dass die Kinder ja gar nichts davon hätten. Auch dieses Mal werden wir darauf hingewiesen, dass sich Julian und Tabea nicht an diese Reise werden erinnern können.

Ja, es wird tatsächlich so sein, dass sich unsere Tochter nicht daran erinnert, wie sie sich das erste Mal auf der Fähre nach Tanger selber gedreht hat, und ihr Bruder wird sich nicht daran erinnern, dass er im Atlasgebirge mit Staunen und Jauchzen den ersten Schnee an seinen Händchen gespürt hat.

Aber ist diese konkrete Erinnerung an einzelne Begebenheiten wirklich das Ausschlaggebende? Für uns stehen vielmehr die Aspekte, was das Reisen dieser Art mit uns als Familie macht, wie es uns stärkt und verbindet, welche Erfahrungen es jedem einzelnen von uns bringt und wie diese Zeit in unserem Herz und Gedächtnis festgehalten werden, im Vordergrund.

Wenn wir sehen, mit welcher Freude und Interesse all die neuen Erfahrungen von unseren Kindern wahrgenommen werden, wie sie täglich selbstbewusster die Welt entdecken, unvoreingenommen auf Menschen jeglicher Couleur zugehen und auch sehen, dass es viele Arten zu leben gibt – dann spüren wir, dass es für uns alle richtig ist.

Auch wenn die Kinder noch zu jung sein mögen, um sich an Details zu erinnern, sind wir doch überzeugt, dass all diese Erfahrungen ihre Spuren bei ihnen und uns hinterlassen.

On the Road…Marokko November 2016

10. „Kann man in der Schweiz oder Deutschland nicht genauso gut Urlaub machen?“

Doch, sicher schon. Haben wir ja bisher auch immer sehr genossen. Wir lieben die Schweiz (und natürlich Deutschland) mit all den Möglichkeiten, die sie uns bietet. Ganz besonders natürlich die Berge und die Natur. Ein temporärer Ausstieg aus dem Hamsterrad der Alltagshektik und dem Konsumverhalten wäre im gewohnten Umfeld wohl kaum in der Art, wie wir es aktuell erleben dürfen, möglich gewesen. Die jetzige Reise ist für uns weit mehr als Ferien: es ist eine Möglichkeit, uns darauf zu besinnen, was uns wichtig ist, uns Gedanken über unsere berufliche und familiäre Zukunft zu machen gepaart mit der Gelegenheit, zusammen mit unseren Kindern unsere Reiseleidenschaft mit all ihren Facetten zu leben.

Erster Wanderausflug auf den Susten – 1. August 2016