Reise

Usbekistan – Märchen aus Tausend und einer Nacht

Die usbekische Grenzstation scheint verlassen, kein Mensch ist zu sehen. Wir richten uns bereits auf eine Nacht im Niemandsland ein, als doch noch ein Grenzbeamter am Tor erscheint. Bevor wir auf usbekischen Boden einrollen dürfen, müssen wir eine Desinfektion über TINKA ergehen lassen. Es handelt sich dabei um eine Vertiefung im Boden, ca. 10cm hoch mit irgendeiner Flüssigkeit gefüllt – nun denn…tiefenrein fahren wir nach Usbekistan ein, wo alle Beamten tatsächlich schon mit den Gedanken zuhause zu sein scheinen. Selbst der Drogenspürhund hat keine Lust auf irgendwelche Aktivitäten. Somit ist der Grenzübertritt in einer Rekordzeit von knapp einer Stunde erledigt, und Usbekistan liegt im Licht der tiefstehenden Sonne vor uns.

Kaum über die Grenze, erblicken wir einen langen Hügelzug mit unzähligen Häusern und Kuppeln. Beim Näherkommen zeigt sich, dass alles im Kleinformat ist. Es ist die Nekropole Mizdakh Khan, die seit über 2000 Jahren als Grabstätte dient und so auch eine spannende Mischung aus Buddhismus, Zoroastrismus, christlichem Glauben und natürlich Islam bietet. Interessant sind die meist siebenstufigen Leitern, die den Übergang von der einen in die andere Welt symbolisieren, die auf und in sehr vielen Gräbern liegen. Die abendliche Stille und die Lichtverhältnisse sorgen für eine intensive, sehr friedliche Stimmung. Auffällig und bedrückend hingegen ist das häufig junge Alter der in diesem und letzten Jahrhundert Verstorbenen. Recherchen und Gespräche mit Bewohnern von Nukus, der Hauptstadt der Autonomen Republik Karakalpackstan bestätigen dies. Die Republik Karakalpakstan, einst Einzugsgebiet von Nomaden und Fischer mit dem Aralsee als Zentrum dieses Lebens wurde durch die sowjetische Planwirtschaft, die exzessive Monokultur von Baumwolle mit entsprechendem Wasserverbrauch, Austrocknung des Aralsees und inflationärer Nutzung von Insekti- und Pestiziden ins Elend gestürzt. Die Gegend weist heute eine hohe Kindersterblichkeit, Krebsrate, und eine tiefe Lebenserwartung auf. Mit dem Zusammenbruch der Sowietunion ging auch der Zusammenbruch der Beschäftigung wie auch der medizinischen Versorgung einher.

Die Stadt Nukus wartet mit wenig Charme auf, ist eher trist und grau. Plattenbauten und propagandistische Mosaike sind Zeugen der sowjetischen Vergangenheit. Nach einem Nachtessen, wo wir ins Gespräch mit dem Wirt und seinen Freunden kommen und viel trauriges über die Region erfahren, machen wir uns auf die Suche nach einem Schlafplatz. Die triste Gegend ist nicht einladend, am frühen Morgen machen wir uns auf nach Urgench.

Chiwas ist unsere erste „Kulturstation“; als Hauptstadt des historischen Reiches Choresmien war sie bereits vor über 1000 Jahren ein bedeutendes Handelszentrum an der Seidenstrasse. Zu unserer Freude können wir direkt am Eingang an den Altstadtmauern mit TINKA stehen – sie fügt sich farblich hervorragend ein. Tagsüber können wir uns bei den unglaublich heissen Temperaturen kaum aufraffen, durch die aufgeheizte Stadt zu ziehen und beobachten lediglich die wenigen Touristen. Wir kommen mit einem Südkoreaner ins Gespräch, in den 80er Jahren studierte er Lebensmitteltechnologie in der Schweiz und freut sich so sehr, Schweizern zu begegnen. Die Kinder bekommen von ihm einen Schein, um sich ein Eis zu kaufen. Bei näherem Hinschauen bemerken wir, dass der Schein für etwa 100 kühle Leckereien reicht! Mit dem Abend wird es milder und die Strassen deutlich bevölkerter. Wir erkundigen die Stadt kreuz und quer und sind beeindruckt von der warmen Schönheit der Moscheen und Mausoleen.

Nach Monaten ausschliesslichem Reis-Essen geniessen wir die Abwechslung und lassen den Abend bei lokaltypischen Essen, mit Sicht über die Stadt bei einem kühlen Bier ausklingen. Die Wasserspeicher wollen aufgefüllt werden für die morgige lange und langweilige Fahrt durch die Wüste Kysylkum.

Auch in Bukhara können wir direkt an der Altstadtmauer parken, keine 5 Minuten vom Poi-Kalon-Ensemble mit dem Kalon-Minarett, der Kalon-Moschee und der ihr gegenüberliegenden Mir-Arab-Madresa. Auch hier sind die Bauten enorm beeindruckend, die Kombination der blauen und grünen Kacheln mit den sandfarbenen Steinen atemberaubend schön.  Julian und Tabea geniessen es, mit ihren Rädern in den ruhigen Altstadtgassen herumzukurven und finden den Labi Hovuz, ein grosses, zentrales Wasserbecken, wo sich das Leben abends abspielt toll – das mag vielleicht auch an der Eisdiele liegen.

Am kommenden Morgen freuen wir uns über das laue Lüftchen, das endlich aufzieht; die Temperaturen über 40°C haben uns die Energie komplett geraubt, TINKA kühlt einfach nicht mehr ab und ist eine fahrende Saunakabine. Das Lüftchen wird zu einem Luft und schliesslich zu einem Sandsturm, der zum Glück nicht allzulange anhält; trotzdem ist alles auch im Fahrzeug mit einer Sandschicht paniert.

Julian und Tabea haben am folgenden Tag ihren Geburtstag und sie wünschen sich einen See oder ein Meer. Ein Meer wird schwierig, ein See machbar. Bei 40°C Muffins Backen ist eine neue Erfahrung – die Freude der Kinder macht aber jeden Schweisstropfen wett. Die aus der Schweiz „mitgeschmuggelten“ Gschenkli werden mit Begeisterung ausgepackt – wir merken, dass Spielsachen für Julian und Tabea längst nicht mehr so selbstverständlich wie vor der Reise sind. Bevor es aber an den See geht, ist ein Abstecher in die Garage nötig. Schon im Iran hatten wir Probleme mit unserem Kühlschrank; wir hatten es auf die teils extrem hohen Temperaturen zurückgeschoben, dass er nicht mehr richtig kühlte. Dieses Problem verstärkt sich nun. Es zeigt sich, dass die Bordbatterien zu stark entladen sind und diese nicht mehr aufgeladen werden können, da die Lichtmaschine zu wenig Spannung macht.

Die Mechaniker gehen äusserst grob mit TINKAs Innenleben um; als sie die Riemenscheibe der Lichtmaschine mit dem Brecheisen herausstemmen, wird es Toralf langsam zu bunt und er legt Veto ein. Es bestätigt sich der Verdacht eines Defektes der Lichtmaschine als Ursache unserer Stromversorgungsprobleme. Auf dem Bazar findet sich kein entsprechendes Ersatzteil, die Mechaniker wollen ein Teil einer anderen Marke zurechtbasteln, kommen aber wieder vom Plan ab, weil es wohl doch zu kompliziert ist. Also wird die alte Lichtmaschine wieder eingebaut, leider mit diversen Macken vom Stemmeisen im Bereich, wo der Keilriemen läuft – als Bilanz haben wir einen Dreivierteltag vor einer usbekischen Garage verbracht, die Lichtmaschine ist noch immer kaputt, wir haben zusätzliche Defekte, zwei Kinder sind völlig eingesaut, dafür hat Karin die gesamte Wäsche gewaschen….nur weg von hier!

25 Kilometer später, auf der Rückbank ist Ruhe eingekehrt, schauen wir uns an: TINKA klingt anders! Und anders heisst in den meisten Fällen nicht gut! Wir entdecken, dass die Lichtmaschine komplett falsch eingebaut wurde und so gegen die Handbremse schlägt. Also wieder zurück. Die Garagenmannschaft, die zu über der Hälfte aus 14jährigen Jungs zu bestehen scheint, versammelt sich um TiNKA. Tatsächlich haben sie es geschafft, die Lichtmaschine verkehrt einzubauen. Erneute 1,5h später – die gewaschene Wäsche ist nun fast trocken – machen wir uns völlig entnervt vom Platz und erreichen bei Dunkelheit doch noch einen schönen Stellplatz direkt am See, wo wir den Geburtstag nachholen und die nächsten Tage mit Baden, Lesen und Spielen verbringen.

Nach einer ewigen Fahrt durch ödes Wüstenland erreichen wir Samarkand und finden einen Stellplatz direkt am Registan. Als gelte es einen Wettbewerb zu gewinnen, sind die Bauten in Samarkand noch einmal monumentaler und mit Worten kaum zu beschreiben – dass dies von Menschenhand geschaffen wurde, ist kaum zu glauben.

In Samarkand erkunden wir aber auch die Neustadt, das pulsierende Russenviertel, hier ist die Sovietzeit noch sehr präsent. Wir können auch die letzten Vorkehrungen für ausstehende Visa treffen.

Wir kommen gut zurecht in Usbekistan; Toralfs Russisch hilft uns enorm, Brücken zu bauen – und trotzdem gelingt es uns irgendwie nicht, in dieses Land richtig einzutauchen. Dies mag daran liegen, dass wir hauptsächlich auf Touristenpfaden unterwegs sind und so viel weniger in Interaktion mit Lokalen kommen als bisher; und vielleicht sind wir auch etwas gesättigt hinsichtlich islamischer Architektur. Mehrfach wird in den Touristenstädten versucht, uns zu prellen – auch wenn es sich für uns nur um Kleinbeträge handelt, finden wir das mühsam und störend. In der Stadt finden wir nur Geldautomaten, die nicht funktionieren. Nach zwei Monaten ausschliesslich von Barem lebend, werden unsere Bargeldressourcen langsam knapp. Ausserdem haben wir hier dauernd mit der Verdauung zu kämpfen; das Essen ist zwar schmackhaft, aber für uns ungewohnt schwer und fettig, die Hygiene oft mehr als dürftig. Als uns schliesslich bei offener Tür unsere beiden SIGG-Flaschen, die wir tagtäglich mehrfach füllen, vor der Nase weggeklaut werden, haben wir den Drang, aus diesen Touristenstädten rauszukommen. In der ganzen Aufbruchhektik vergessen wir den Geschirrschrank ordentlich zu verriegeln – beim nächsten Halt kullert uns unser zerbrochenes Campinggeschirr entgegen.

Auf den Bogen hoch nach Tashkent haben wir keine Lust mehr – nicht noch eine grosse Stadt mehr; uns reizt die Natur, die Berge fehlen uns. Wir machen uns gemächlich Richtung Tadjikistan auf – neues Land, neues Glück!

2 comments

  1. Sehr spannend! An der Stelle möchte ich euch meinen Respekt aussprechen – die geschilderten technischen Herausforderungen hätten mich einfach nur überfordert! Ich habe gelernt – immer mit jemandem reisen, der auch flicken kann – oder zumindest weiss wenn es falsch geflickt wird….lieben Gruss aus dem Seeland

    1. …gell, es ist einfach immer gut, einen Chirurgen an der Seite zu haben 😉
      Du hast schon recht; sowohl in der Medizin wie auch beim Auto ist’s nicht schlecht, zu wissen, wie’s drinnen aussieht oder aussehen soll. Wobei bei den alten Karren das Innenleben irgendwie viel logischer nachvollziehbar ist. Standen grad gestern wieder in Osh/Kirgistan auf dem LKW-Werkhof mit auseinandergebauter Bremstrommel – sehr spannend!! Muss mir überlegen, ob ich nicht noch die Branche wechsel…
      Liebe Grüsse aus Kirgistan!

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